Apicius: De re coquinaria

Italienische Kochbücher und Köche – #2

 

Wir beginnen unsere Reihe mit Apicius, der sicherlich noch kein Italiener war, aber im heutigen Italien lebte und die Küche der Halbinsel (und Europas) über Jahrhunderte beeinflusste.

 

De re coquinaria

 

Das wohl erste europäische Kochbuch überhaupt ist De re coquinaria von Apicius. Genauer gesagt soll es ein Römer namens Apicius verfasst haben, der in den 90er Jahren des 1. Jh. v. Chr. von sich reden machte und für üppige Schlemmereien bekannt war. Tatsächlich aber gab es mehrere Männer namens Apicius, die ebenfalls für kulinarische Genüsse und Exzesse bekannt waren, wie etwa den Marcus Gavius Apicius, der im späten 1. Jh. v. Chr. lebte und nach Seneca seinem Leben durch Gift selbst ein Ende gesetzt haben soll, als er merkte, dass sein aufwändiger Lebensstil auf Dauer nicht zu finanzieren war. Welcher Apicius auch immer – ihnen gemein ist, dass Apicius kein Familiennname, sondern ein Beiname ist, der Schlemmer bedeutet, und davon gab es eben mehrere. Sie alle bedienten unser heutiges Klischee von großen Gelagen und dekadenten Orgien im alten Rom. Ob einer dieser Namensträger aber tatsächlich der Verfasser des De re coquinaria war, ist unwahrscheinlich. Eventuell hat ein später lebender Koch namens Caelius als Caelius Apicius das Werk verfasst, wahrscheinlicher ist aber wohl die Theorie, dass es sich bei dem De re coquinaria um eine im Laufe der Jahre immer wieder von verschiedenen Autoren ergänzte Rezeptsammlung handelt, die ihre abschließende Form wohl erst im 3. oder 4. Jh. nach Chr. gefunden hat. Die ältesten Zeugnisse dieses Werks sind zwei handschriftliche Kopien aus dem 10. Jahrhundert, von denen eine aus dem Kloster Fulda stammt.

 

Apicius De Re Coquinaria
Apicius: De Re Coquinaria
Handschrift aus dem 10. Jahrhundert aus dem Kloster Fulda
New York (Academy of Medicine)

Bildinfo

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Attribution: Bonho1962, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

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Wer nun angesichts des programmatischen Verfassernamens an raffinierte Rezepte mit exzentrischen Zutaten für überbordende Bankette denkt, wie sie z.B. der römische Konsul Lucius Licinius Lucullus (117 – 56) veranstaltete, der wird enttäuscht. Zunächst enthält De re coquinaria (dt.: Über die Kochkunst) überproportional viele Saucenrezepte, was für eine aus vielerlei Quellen gespeiste Rezeptsammlung spricht. Die Zutaten sind teilweise durchaus teuer und werden teilweise auch zu Gerichten mit internationalem Flair bzw. orientalischem Einschlag benutzt (“Kürbis wird auf alexandrinische Art mit Honig und Pinienlernen zerstampft und gepfeffert, parthisches Zicklein oder Lamm mit Bohnenkraut und Damaszenerpflaumen gefüllt.”[1]), doch zumeist handelt es sich um alltagstaugliche Rezepte für eine wohlhabende Oberschicht fern einer dekadenten Völlerei der Eliten. In der Rezeptsammlung finden sich auch viele einfache Rezepte wie das für Sapa oder für Saubohnen mit Olivenöl, das noch heute in Süditalien als Macco di fave beliebt ist. Allerdings sind Apicius Rezepte oft schwer nachzuvollziehen aufgrund der Vielzahl an (zum Teil heute unbekannten) Zutaten, meist fehlender Mengenangaben und nur sehr knappen Kochanweisungen. Typisch für die Küche des Apicius ist hinsichtlich der Zutaten die Verwendung von Pfeffer, Kümmel und Essig und bezüglich der Zubereitungsweise auch die Kombination von Süße mit Fleisch.

 

Angesichts der vorstehend genannten typischen Merkmale ist nachstehend angeführtes Lasagne-Gericht eigentlich eher untypisch für Apicius, denn erstens ist es relativ aufwändig und (für Apicius’ Verhältnisse) ausführlich beschrieben und zweitens lässt es auch den typischen Süß-salzig-Kontrast vermissen, doch als historischer Vorläufer unserer heutigen Lasagne-Gerichte fanden wir es so kurios, dass wir es nicht vorenthalten wollen:

“Zerkleinere gekochtes Euter, Fischstückchen, Hühnerstückchen oder die gar gemachten Brüste der Drossel und des Feigenfressers und was sonst das Beste ist. Schneide alles recht sorgfältig vorher wegen des Feigenfressers (dessen Fleisch sehr weich und zart ist), die rohen Eier aber löse in Öl auf; reibe Pfeffer und Liebstöckel und übergieße es mit Brühe, Wein und Rosinenwein, tue es in ein Kochgeschirr; damit es sämig wird ziehe es mit Kraftmehl ab, nachdem du zuvor alle Stücke gleichmäßig geschnitten hast, laß es kochen; hat alles gekocht, nimm es weg (ab igne = vom Feuer?) mit seinem Safte (Fond), von dem du eine Kelle voll in ein anderes Kochgeschirr zurückgießt mit ganzem Pfeffer und Pinienkernen; dann rolle einen Teig in einzelne Lagen, fülle sie mit Kellen voll des Ragouts, eine Lage aber rolle zu einer dünnen Platte aus und decke sie darüber und streue Pfeffer darüber, zuvor jedoch füge jene Fleischstücke und geschlagenen Eier hinzu, dann die Fülle und tue es auf eine Platte. Zu diesem Zwecke dürfte sich eine silberne Platte gut eignen, worauf es sich am besten ausnimmt.”[2]

 

Die Bedeutung des De re coquinaria liegt denn weniger in der Funktion als Vorlage für Rezepte zum Nachkochen als denn eher im Überblick über das, was man damals in einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht aß, und vor allem ist es die erste explizite Rezeptsammlung, die auf europäischem Boden entstand. Natürlich erlaubt das Werk antiker Schriftsteller auch einen Einblick in die Küche ihrer Zeit, doch im De re coquinaria geht es erstmals ausschließlich um das Essen und seine Zubereitung.

 

Apicius De Re Coquinaria
Apicius: De Re Coquinaria
Handschrift aus dem 16. Jahrhundert mit Anmerkungen von Angelo Poliziano , Humanist und Dichter der florentiner Renaissance
Ms. 627/1 (V 644), fol. 7r, St. Petersburg (Bibliothek der Russischen Akademie der Wissenschaften)

Bildinfo

Page URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pseudo-Apicius,_De_re_coquinaria,_Saint_Petersburg_Ms._627_1.jpg
File URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e9/Pseudo-Apicius%2C_De_re_coquinaria%2C_Saint_Petersburg_Ms._627_1.jpg
Attribution: Pseudo-Apicius, Public domain, via Wikimedia Commons

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Auswahl verfügbarer Ausgaben

Print:
Robert Maier (Hrsg.): Apicius: De re coquinaria / Über die Kochkunst. Lateinisch-deutsch. Stuttgart (Reclam) 1991/2018
Transkription und jüngste deutsche Übersetzung mit zahlreichen erläuternden Anmerkungen

Digitalisiert und online:
Antonius Motta (Hrsg.): Apicius in re coquinaria; Mailand (Guillaume Le Signerre) 1498
Standort: Bayerische Staatsbibliothek München (Sign. 4 Inc.c.a. 1471)
erste nachweisbare gedruckte Ausgabe auf Latein; online 1 oder online 2

Johann Michael Bernhold (Hrsg.): Caelii Apicii De Opsoniis et Condimentis Sive Arte Coquinaria Libri X : Cum Lectionibus Variis Atque Indice, Markbreit 1787
Standort: Bayerische Staatsbibliothek München (Sign. A.lat.c. 116#Beibd.1)
neunte gedruckte Ausgabe auf Latein; online

Celio Apicio delle vivande e condimenti ovvero dell’arte della cucina. Vogarizzamento con annotazioni di Giambatista Baseggio, Venedig (G. Antonelli Editore) 1852
lateinisch-italienisch mit Anmerkungen; online und als PDF

Apicius Caelius: Altrömische Kochkunst in zehn Büchern. Bearbeitet und ins Deutsche übersetzt von Eduard Danneil, Leipzig (Verlag Däweritz) 1911
zweite deutsche Übersetzung mit zahlreichen erläuternden Anmerkungen; PDF

Rezeptauswahlen zum Nachkochen auf Deutsch

“Die interessantesten Rezepte aus dem Apicius neu überabeitet”; online

“Das römische Kochbuch des Apicius De re coquinaria”; online

 

 

Apicius auf Authentisch-Italienisch-Kochen

Alle Fundstellen hier

 

 

Reihe "Italienische Kochbücher und Köche"

Nr. 1Einführung
Nr. 2Apicius: De re coquinaria (3./4. Jh.)
Nr. 3Anonym: Liber de Coquina (um 1310)
und Hinweise auf:
Anonimo Meridionale: (Anonimo Meridionale) (Ende 14./ Anf. 15. Jh.)
Anonimo Toscano: Libro di cocina (um 1400)
Anonimo Veneziano: Libro per cuoco (Anfang 15. Jh.)
Nr. 4Maestro Martino: Libro de arte coquinaria (1456/67)
und Hinweise auf:
Giovanni Rosselli: Epulario (1516)
Nr. 5Platina (Bartolomeo Sacchi): De honesta voluptate et valetudine (1466/67)
und Hinweise auf:
Hippokrates von Kos (ca. 460–370) und Galen (ca. 129-199)
Nr. 6Ortensio Lando: Commentario delle più notabili, et mostruose cose d’Italia, & altri luoghi (1548)
Nr. 7Cristoforo di Messisbugo: Banchetti, composizioni di vivande e apparecchio generale (1549)
und Hinweise auf:
Cristoforo di Messisbugo: Libro novo nel qual si insegna a far d’ogni sorte di vivanda (1564)
Ruperto da Nola: Libre de doctrina per a ben servir, de tallar y del art de coch (1520)
Nr. 8Domenico Romoli: La Singolare Dottrina (1560)
Nr. 9Bartolomeo Scappi: Opera (1570)
und Hinweise auf:
Cuoco Napoletano (Ende 15. Jh.)
Antonio Camuria: Apparecchi diversi da mangiare et rimedii (1524)
Giovann Battista Rossetti: Dello Scalco (1584)
Andrea Bacci: De naturali vinorum historia (1596)
Nr. 10Bartolomeo Stefani: L'arte di ben cucinare (1662)
Nr. 11Antonio Latini: Lo scalco alla moderna (1692 u. 1694)
und Hinweise auf:
Mattia Giegher: Trattato delle piegature (1629)
Giovanni Battista Crisci: Lucerna de‘Corteggiani (1634)
Nr. 12Anonym: Il cuoco piemontese perfezionato a Parigi (1766)
und Hinweise auf:
François-Pierre de La Varenne: Le cuisinier françois (1651)
Nr. 13Vincenzo Corrado: Il cuoco galante (1773)
und Hinweise auf:
Antonio Cocchi: Del vitto pitagorico per uso della medicina (1757)
Nr. 14Francesco Leonardi: L'Apicio moderno (1790)
und Hinweise auf:
Antonio Nebbia: Il cuoco maceratese (1779)
Nr. 15Ippolito Cavalcanti: Cucina teorico-pratica (1837)
Nr. 16Pellegrino Artusi: La scienza in cucina e l'arte di mangiar bene (1891)
und Hinweise auf:
Giovanni Vialadri: Trattato di cucina, Pasticceria moderna, Credenza e relativa Confettureria (1854)
Giovanni Vialadri: Cucina Borghese semplice ed economica (1864)
Nr. 17Ada Boni: Il talismano della felicità (1925)
und Hinweise auf:
Giulia Ferraris Tamburini: Come posso mangiar bene (1900)
Petronilla (Amalia Moretti Foggia): Tra i fornelli (1932 ff)
Nr. 18Filippo Tommaso Marinetti: La cucina futurista (1932)
Nr. 19Kochbücher der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts
mit Hinweisen auf:
Il cucchiaio d'argento (1950)
Der Silberlöffel (2006)
Il cucchiaio d'argento - Cucina regionale (2008)
Touring Club Italia (Hrsg.): Guida gastronomica d’Italia (1931)
Anna Gossetti della Salda: Le ricette regionali italiane (1967)
Luigi Carnacina u. Luigi Veronelli: La cucina rustica regionale (1974)
Alessandro Molinari Pradelli: Cucina regionale italiana (1999)
Accademia Italiana della Cucina: La Cucina del Bel Paese (2002)
Accademia Italiana della Cucina: La Cucina. Die originale Küche Italiens (2013)
La Repubblica u. TV Sorrisi e Canzoni: Enciclopedia della Cucina Regionale (2008)
Slow Food: Cucina regionale (2010)
Slow Food: L’italia in cucina (2017)

 

Siehe auch unsere Büchertipps zur italienischen Küche.

 

 

 

Fußnoten    (↵ zurück zum Text; ggf. geschlossenen Text zunächst öffnen)

  1. Peter Peter: Cucina e cultura. Kulturgeschichte der italienischen Küche, München (C.H. Beck) 2006, S. 25
  2. zit. n. Apicius Caelius: Altrömische Kochkunst in zehn Büchern. Bearbeitet und ins Deutsche übersetzt von Eduard Danneil, Leipzig (Verlag Däweritz) 1911, S. 54; dort als Rezept Nr. 134 unter dem Namen Apicianische Platte (Patina Apiciana) angeführt

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 5. Januar 2024
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Ein Gedanke zu “Apicius: De re coquinaria

  • 29. Mai 2022 um 23:38
    Permalink

    Heute möchte ich meinen besonderen Dank für die Vorstellung der alten Kochbücher ausdrücken! Die Zusammenfassungen sind sehr gut und die Links verführen zum Stöbern.
    Aspicius, der größten Prasser überhaupt (wie Plinius d.Ä. schon schrieb) war mir von Vorlesungen über röm. Geschichte noch bekannt, die anderen Autoren leider nicht. Angeregt, mehr zu erfahren, erkundigte ich mich im Internet und fand heraus, dass der besagte Bartolomeo Sacchi, derjenige war, der die schon seit dem 13. Jahrhundert überlieferte Legende um die Päpstin Johanna in seine Chronik (gegen Ende des 15. Jahrhunderts) aufgenommen hatte. Hundert Jahre später wurde diese Chronik natürlich auf den Index der kath. Kirche gesetzt. Da aber war sie längst schon übersetzt und die Mär von einer Frau als Päpstin in ganz Europa verbreitet. Für die Kirche existiert sie nicht, interessanterweise soll sie aber in ca. 500 Chroniken auftauchen…
    Aspicius’ Werdegang hat übrigens damals unseren ganzen Hörsaal zum Schmunzeln gebracht. Nachdem er bereits umgerechnet mehr als 200.000.000 Euro für leibliche Genüsse ausgegeben hatte, machte er Kassensturz und stellte zu seinem Verdruss fest, dass ihm nur noch 2.5 Millionen zum Leben verblieben waren. Aus Verzweiflung soll er sich daraufhin vergiftet haben (schreibt Seneca).

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