Haselnüsse und Gianduia

Italien ist weltweit der zweitgrößte Haselnuss-Produzent und dort wurde 2020 mehr als 13 % der weltweiten Produktion geerntet.[1] Ein guter Grund, einen genaueren Blick auf die Haselnuss und die aus ihr entstehenden Produkte zu werfen.

Die Haselnuss gibt es eigentlich nicht. Biologisch unterscheidet man die Gemeine Hasenuss (Corylus avellana), die eher in Mitteleuropa heimisch ist, und die eher in Südeuropa verbreitete Lambertshasel (Corylus maxima), die etwas größer werden kann, weniger kälteresistent ist und den größeren Teil der Produktion ausmacht. Ein zweites Unterscheidungsmerkmal ist die Form der Haselnussfrucht. Diese kann eher rund (it.: tondo) oder länglich sein. Sorten mit runden Formen sind die geschätzteren, denn sie sind von der Industrie besser zu verarbeiten.

In Italien gibt es viele Untersorten, die vom Piemont bis hin nach Sizilien angebaut werden. Zwei Untersorten ragen heraus, denn nur sie besitzen den begehrten IGP-Status:

  • Nocciola di Giffoni IGP wird in Kampanien, genauer gesagt in der Provinz Salerno auf rund 3000 ha angebaut und ist eine runde Sorte.
  • Nocciola tonda gentile del Piemonte IGP wird vor allem in den Provinzen Asti, Alessandria und Cuneo angebaut. Selbsternannte “Capitale della nocciola”[2] (Nuss-Hauptstadt) ist Cortemilia (CN). Mengenmäßig ist diese Sorte die bedeutendere von beiden IGP-Produkten, weshalb wir uns nachfolgend auf diese konzentrieren.
hasenuss gentile
Nocciola tonda gentile del Piemonte IGP

Bildinfo

Credits: Depositphotos Depositphotos

Authentisch-Italienisch-Kochen.de

Nocciola tonda gentile del Piemonte ist die Langform des Namens, die kurz auch Tonda gentile oder Trilobata genannt wird, als IGP-Produkt jetzt aber nur noch Nocciola del Piemonte heißt. Ihre führende Stellung verdankt sie eigentlich einem Unglück, nämlich der Vernichtung vieler Weinstöcke im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durch die aus Amerika eingewanderte Reblaus sowie den ebenfalls von dort stammenden Peronospora-Pilz, der die Pflanzenkrankheit Falscher Mehltau entstehen lässt. Statt erneut auf den Weinanbau zu setzen, schwenkten viele Winzer auf den Anbau von Haselnüssen um. Zudem pflanzte man nun vor allem die ertragreiche Sorte Tonda gentile an, die viele Vorteile bietet. Die Tonda gentile

  • gilt als sehr wohlschmeckend;
  • lässt sich aufgrund der runden Form gut industriell verarbeiten, was durch die dünne Schale noch unterstützt wird;
  • lässt sich gut rösten, wonach auch das braune Häutchen gut entfernbar ist;
  • hat einen vergleichsweise geringen Fettgehalt, wodurch die Gefahr des Ranzigwerdens zu reduziert ist;
  • scheint gesund zu sein, denn sie enthält viel Vitamin E und “der Fettgehalt besteht zu über 40% aus den wertvollen einfach ungesättigten Fettsäuren”.[3]

Vertrieben werden darf die Tonda gentile laut IGP-Produktionsvorschriften ganz mit oder ohne Schale, getoastet, gehackt, gemahlen oder als Paste. Ihre kulinarische Einsatzfähigkeit ist – wie die aller Haselnüsse – sehr breit und reicht von der Nutzung im Rahmen von (auch salzigen) Speisen über Konditoreiprodukte, Süßigkeiten, Speiseeis bis hin zu Öl und Schnaps (z.B. Frangelico).

Unter den Süßigkeiten besonders herausragend ist der dunkle Nougat. Beim hellen Nougat, dem Torrone, den wir als Torrone cremonese bereits vor- und hergestellt haben, spielen Eiweiß und Honig eine Hauptrolle, wobei Haselnüsse enthalten sein können, aber nicht müssen. Anders beim dunklen Nougat, der Gianduia, deren Hauptzutaten Kakao und Haselnüsse sind und die ein typisches Produkt Turins ist.

gianduia
Giuanduia-Stangen mit Kakaobohnen (li) und Haselsüssen (re)

Bildinfo

Page URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nougat_stange_aus_jeibmann_150dpi.jpg
File URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/61/Nougat_stange_aus_jeibmann_150dpi.jpg
Attribution: Juergen Jeibmann, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons

Authentisch-Italienisch-Kochen.de

Bei der Herstellung von Gianduia werden zuvor geröstete Haselnüsse fein vermahlen und dann u.a. mit Kakao(-butter), (Vanille-)Zucker und oft auch Milch(-pulver) vermengt, bis eine homogene, feste Masse entsteht. Abgesehen vom geschmacklichen Unterschied ähnelt diese der (heutigen) Schokolade, ist jedoch aufgrund des in den Haselnüssen enthaltenen Öls geschmeidiger.

Angeblich ist Gianduia ein aus Kriegsnot entstandenes Ersatzprodukt für Schokolade. Als das napoleonische Frankreich in einer Art Wirtschaftskrieg gegen England die sogenannte Kontinentalsperre (1806-1813) verfügte, wurde der importierte Kakao knapp, was im damals schon schokoladenversessenen Turin die Stimmung sinken ließ. Hinzu kam, dass während der Kontinentalsperre auch der Preis für Zucker ebenfalls astonomische Höhen erklommen hatte und daher Mangelprodukt war. Zucker wurde bis dahin ausschließlich aus importiertem Rohrzucker gewonnen. Zwar wurde 1801 in Schlesien die erste Fabrik der Welt eröffnet, die Zucker aus Rüben produzierte, doch zu Zeiten der Kontinentalsperre konnte damit der Bedarf längst nicht gedeckt werden – erst “ab etwa 1850 [fiel] der Zuckerpreis […] durch die beginnende industrielle Herstellung”.[4]

Angesichts dieser Misere versuchte man Kakao zumindest teilweise durch ein andere Zutat zu ersetzen und dadurch den unerlässlichen Kakao zu strecken. Bekannt sind Versuche mit Mandeln und Getreide.[5] Doch erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts scheint man darauf gekommen zu sein, Kakao mit gerösteten Haselnüssen zu strecken. Die oft vertretene These, dies sei bereits 1806, also im ersten Jahr der Kontinentalsperre, geschehen,[6] ist weder belegt noch angesichts der aufgezeigten Zuckerknappheit plausibel. Wem das Verdienst dieser Entdeckung gebührt, ist unklar. Genannt wird z.B. ein Michele Prochet, der 1852 die Erfindung gemacht haben soll,[7] in diesem Jahr anderen Quellen zufolge jedoch erst 12 oder 13 Jahre alt war.[8] Jedenfalls scheint Prochet später zusammen mit Isidore Caffarel, Sohn des turiner Chocolatiers Pier Paul Caffarel, dessen Schokoladenfirma Caffarel noch heute auf dem Markt ist, Gianduia produziert zu haben. Andere lokale Schokoladenhersteller erkannten schnell die Chancen, die das neue Dolce bot, und stiegen in die Produktion ein, und so entstand mit Gianduia eine neue Süßigkeit, die die Zeiten des Kakaomangels überlebt hat und ein Vorzeige-Dolce des Piemonts oder besser Turins, der “Capitale del cioccolato”[9] (noch eine Hauptstadt), geworden ist. Aus Turin stammt übrigens auch die leckere Torta Gianduia, das piemontesische Festtagsdolce schlechthin.

gianduiotto
Gianduiotto

Bildinfo

Credits: Depositphotos Depositphotos

Authentisch-Italienisch-Kochen.de

Von Gianduia zu Gianduiotto war’s dann nur noch ein kleiner Schritt: Gianduiotto heißt die kleine Gianduia-Praline, die einem Schiffsrumpf ähnelt. Erstmals wurde sie wohl von der schon genannten Firma Caffarel produziert. Gianduiotti waren die ersten Schokolädchen, die einzeln verpackt (heute in Gold- oder Silberfolie) vertrieben wurden. Die Gianduiotti, als PAT-Produkt ausgezeichnet, unterstützten den Erfolgszug der Gianduia und wurden – bald auch von anderen Schokoladenherstellern produziert – im In- und Ausland sehr populär. Gesichert scheint zu sein, dass Gianduiotti 1865 im turiner Karneval verteilt wurden. Der Karnevalsbezug verwundert insofern nicht, als die populäre Karnevalsfigur Gianduja (mit “j”) die Namensgeberin der Gianduia ist. Gianduja ist eine der vielen typischen mit dem Karneval verbundenen Figuren, in diesem Fall eine männliche, rot-braun gekleidete Figur mit Dreispitz, deren Name Gianduja wohl ableitbar ist vom dialektalen Gioann dla doja (dt.: Johann mit dem Krug), was sich im leicht geröteten Gesicht des Gianduja widerspiegeln soll, doch neben seiner Neigung zum Wein ist Gianduja ein fröhlicher, genießerischer, mutiger und vernünftiger “galantuomo”.[10]

So wie Gianduia gewissermaßen eine Erfindung in Zeiten der Kriegsnot war, so gilt dies auch für seine sicherlich berühmteste (wenn auch nicht leckerste) Variante, den Brotaufstrich Nutella. Pietro Ferrero, Konditor im piemontesischen Alba, kam angesichts der während des 2. Weltkriegs sehr hohem Importsteuer auf Kakaobohnen 1940 auf die Idee, eine Schoko-Paste zu entwickeln, bei der Haselnüsse teilweise die Schokolade ersetzen. 1946 verkaufte er hiervon unter dem Namen Pasta giandujot immerhin 300 Kilo. Der 1951 erfolgten Umbenennung in Supercrema gianduja folgte 1964 eine weitere, u.z. in Nutella, zusammengesetzt aus dem englischen Wort für Nuss und der weiblichen italienischen Verkleinerungsform -ella. Nutella produziert mittlerweile 365.000 t Creme jährlich[11] und ist damit heute weltweit der erfolgreichste Hersteller von Schoko-Brotaufstrich.

Auch wenn man Nutella im weitesten Sinne unter dem Etikett Gianduia subsummieren kann, so liegen doch Welten zwischen diesem Brotaufstrich und einer köstlichen, handgeschnittenen Gianduia von einem der vielen kleinen, noch heute produzierenden Hersteller in Turin. Vor Ort probieren lohnt sich, und einen kleinen Führer zu den schokoladigsten Orten Turins gibt es auch.

 

Alle auf Authentisch-Italienisch-Kochen.de veröffentlichten Rezepte, die Haselnüsse enthalten, findest du unter der Zutat Haselnüsse.

 

Fußnoten    (↵ zurück zum Text; ggf. geschlossenen Text zunächst öffnen)

  1. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeine_Hasel (Letzter Zugriff: 23.03.23)
  2. https://www.comunecortemilia.it/sapori-tipici/ (Letzter Zugriff: 23.03.23)
  3. https://www.nocciolapiemonte.it/der-nocciola-piemonte-g-g-a/?lang=de (Letzter Zugriff: 23.03.23)
  4. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Zucker#Daten_zur_Kulturgeschichte_des_Zuckers (Letzter Zugriff: 23.03.23)
  5. Vgl. https://newsv2.orf.at/stories/2170200/2170207/ (Letzter Zugriff: 23.03.23)
  6. So z.B. https://www.gianduia.it (Letzter Zugriff: 23.03.23)
  7. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Nougat (Letzter Zugriff: 23.03.23)
  8. Vgl. https://www.gustorotondo.it/gianduiotto-storia/ (Letzter Zugriff: 23.03.23)
  9. http://www.cioccola-to.it/2012/torino_cioccolato.php (Letzter Zugriff: 23.03.23)
  10. Vgl. https://it.wikipedia.org/wiki/Gianduja (Letzter Zugriff: 23.03.23)
  11. Vgl. https://it.wikipedia.org/wiki/Nutella (Letzter Zugriff: 23.03.23)

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 5. Januar 2024
Wird die Seite ganz oder in Teilbereichen nicht richtig angezeigt, freuen wir uns über einen kurzen Hinweis an
matta@a-i-k.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert