Seien wir ehrlich: Mit dem Begriff Kampanien können die wenigsten Deutschen etwas anfangen. Neapel aber kennt jedes Kind. Neapel ist die Hauptstadt der süditalienischen Region Kampanien (it.: Campania), die scheinbar völlig überlagert wird von dem allseits bekannten Neapel. Dabei hat Kampanien neben Neapel touristische Highlights wie die antiken Ausgrabungsstätten vom Pompeji und Herkulaneum, die Amalfiküste, die Inseln Capri und Ischia, den riesigen Naturpark des Cilento und vieles mehr zu bieten, vor allem aber eine hervorragende Küche.
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Ein Grund für die besondere Stellung Neapels im Vergleich zu Kampanien ist der, dass Neapel schon in der Antike ein Zentrum war, und das Drumherum war eben zunächst einmal nur campagna, das Land außerhalb der Stadt, wie man den Begriff übersetzen könnte. Und der Begriff campagna wiederum kommt vom spätlateinischen campania, und der Kreis schließt sich. Auch heute lebt über die Hälfte der Einwohner Kampaniens in der Provinz (bzw. Metropolitanstadt) Neapel. Weiterhin hat es in der Geschichte kein Reich Kampanien gegeben: Zwar haben Griechen, Römer, Byzantiner, Normannen, Staufer, Anjou, Aragonesen, die spanischen Habsburger, Bourbonen und Savoyer dort gelebt und geherrscht, doch das letzte Königreich vor der Einigung Italiens war das Königreich beider Sizilien (und kein Königreich Kampanien). Und dieses war in der Mitte des 19. Jahrhunderts das größte Königreich im späteren Italien, und Neapel war die größte Stadt Italiens.
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Damals wurden vielleicht schon die Weichen für die heutige Situation gestellt – einerseits bot und bietet eine Hauptstadt natürlich viele Möglichkeiten im kulturellen Bereich (von Kunst und Architektur im engeren Sinne über Literatur, Theater, Musik, Oper, Schauspiel bis hin zur Mode usw.), andererseits haben Hauptstädte oft ein Armutsproblem durch den Zuzug vieler Mittelloser, die auf ein besseres Leben in der Hauptstadt hoffen. Beide Ebenen kennzeichnen das alte und das heutige Neapel. Auf der einen Ebene reicht der Bogen von den griechischen Baumeistern der Tempel in Paestum bis hin zu Kenzō Tange, von Luca Giordano bis Mimmo Paladino, von Jacopo Sannazaro über Eduardo De Filippo bis Luciano De Crescenzo, von der Tarantella über Enrico Caruso bis zu Pino Daniele und Edoardo Bennato.
Daneben gibt es aber auch die andere Ebene: die der Armut (das BIP pro Kopf betrug in Kampanien 2017 nur 63,9 % des italienischen Durchschnitts)[1], die vor allem auch durch eine besonders hohe Arbeitslosigkeit (diese erreichte 2017 in Neapel eine Rekordhöhe von 30,5 %)[2] bedingt ist. Arbeitsplätze im sekundären Sektor sind seit jeher Mangelware, und die Industriebrache des ehemaligen Italsider-Werks in Bagnoli zeigt, dass es diesbezüglich eher bergab geht.
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Wo Arbeitslosigkeit ist, drohen soziale Probleme in Form von Kriminalität, und die hat Neapel nicht nur schon lange in Form der Camorra, sondern in letzter Zeit auch in Gestalt einer zunehmend enthemmten, gewaltbereiten Jugendkriminalität,[3] die in Deutschland einem größeren Publikum durch die Arbeiten Roberto Savianos bekannt geworden ist. Als Tourist kriegt man in der Regel davon nicht viel mit, doch die negativen Folgen für das soziale Zusammenleben in der Stadt sind unabsehbar. Und das ist schade, denn früher war Neapel trotz auch damals verbreiteter Armut eine sehr solidarische Stadt, in der z.B. der caffè sospeso (dt.: ausstehender Kaffee) erfunden wurde: Ein wohlhabender Bürger trinkt in der Bar einen Kaffee und bezahlt zwei – der zweite ist für einen Bedürftigen, der bei Kaffeedurst sich beim buchführenden Barista erkundigt, ob noch ein kostenloser caffè sospeso zu haben sei. Neapolitaner, das sind eben nicht nur (einige) Kriminelle, sondern vor allem viele herzensgute, hilfsbereite Menschen. In Italien gilt “der” Neapolitaner als etwas laut und überschwenglich, er hat fast immer guter Laune, er singt während des Mandoline-Zupfens, und er ist begeisterungsfähig für vieles, vor allem aber für seine Fußballmannschaft SSC Napoli. Und diese Begeisterung kann sich auch in einem in der Altstadt an einer Ecke angebrachten Devotionalien-Schrein äußern, in dem ein “heiliges und wundertätiges” Haar des Fußballspielers Diego Maradona, der 1984-1991 für Neapel spielte, verehrt wird.
“Neapel ist …
… tausend Farben,
… tausend Ängste
… eine bittere Sonne
… der Duft des Meeres
… ein schmutziges Stück Papier”
Niemand hat die Ambivalenz Neapels schöner formulieren können als Pino Daniele in seinem Lied Napul’è – dass Neapel eben immer beides ist.
Wenden wir uns aber, nachdem wir auch die hässlichen Seiten nicht verleugnet haben, wieder den schönen Seiten zu, und davon gibt es viele! Zum Beispiel die neapolitanische Küche, um die es hier vor allem gehen soll. Deren Aushängeschilder Pasta (in sämtlichen Variationen) und Pizza sind das, was man heute gemeinhin mit der neapolitanischen Küche assoziiert, und diese wiederum gilt vielen als Inbegriff der italianità schlechthin. Doch Pasta und Pizza sind eigentlich relativ junge Phänomene, und schon in der Antike aß man in und um Neapel hervorragend. Sicherlich ist es kein Zufall, dass Lucius Licinius Lucullus, der bekannteste Gourmet der Antike, in Neapel eine Villa besaß. Dass auch noch im Mittelalter die neapolitanische Küche ganz groß war, kann man aus dem Umstand schlussfolgern, dass mit dem Liber de Coquina das erste italienische Kochbuch in Neapel entstand, und zwar zu Beginn des 14. Jahrhunderts am neapolitanischen Hof. Gelegen an sonnenbeschienenen, durch vulkanische Erde besonders fruchtbaren Hängen brachte und bringt das mit mildem Klima gesegnete Umland Neapels auf das Üppigste verschiedenste Obst- und Gemüsesorten hervor. Am bekanntesten sind heutzutage sicherlich die Tomaten aus San Marzano (DOP), die auf den beiden typischsten Gerichten der Partenopea, der Pasta und der Pizza, nicht fehlen dürfen. DOP-Status besitzen auch die kleineren Pomodorini del piennolo del Vesuvio. Aber Tomaten gab es zu Lucullus’ Zeiten noch gar nicht in Europa, denn sie wurden erst im 16. Jahrhundert (zusammen mit vielen anderen Pflanzen, die heute aus der mediterranen Küche nicht wegzudenken sind) aus Amerika eingeführt und fanden auch nur langsam ihren Weg in die neapolitanische Küche, wie wir in einem Abschnitt über Neapel und die Tomaten an anderer Stelle schon gezeigt haben.
Neben Tomaten gibt es natürlich noch viel mehr Obst und Gemüse aus Kampanien, das innerhalb Italiens der Hauptproduzent von Nüssen (73 % der Gesamtproduktion), Aprikosen (40 %), Feigen (35 %), Bohnen (34 %) und Kartoffeln (23 %) ist.[4] Aus letzteren macht man übrigens den traditionellen Kartoffel-Auflauf Gattò di patate. Gerühmt werden zudem die Esskastanien aus Montella, Roccadaspide und Serino (alle IGP-Status), Artischocken aus Paestum (IGP) und natürlich die Zitronen von der Amalfiküste (IGP), die oft zu dem leckeren Zitronenlikör Limoncello verarbeitet werden. Besonders typisch sind drei Gemüsesorten, die teilweise nur lokal in Kampanien angebaut werden, und zwar erstens Scarole, eine Art Endivien, die z.B. geschmort werden (Scarole stufate oder Scarole imbottite) werden. Aber auch auf Tortini (Tortini di scarole) oder auf der Pizza findet man sie in Neapel häufig als Pizza alle scarole (PAT), wobei diese Art Pizza den Sprung aus Neapel heraus leider nie geschafft hat. Das zweite besondere Gemüse sind Friarielli, eine besondere Art Stängelkohl (doch etwas bitterer als dieser), die gern als einfache Gemüsebeilage (gedünstete Friarielli soffritti) gegessen werden. Sie können aber auch im Rahmen eines Omeletts verarbeitet werden (Frittata di friarielli) oder zusammen mit Salsicce gegessen werden, z.B. einfach als Salsiccia e friarelli oder auch zusammen auf Pizza als Pizza alla carrettiera. Und das dritte besondere Gemüse sind die Papaccelle (PAT), eine kleinere, besonders flache Paprika-Art v.a. aus der Gemeinde Brusciano (NA), die wie andere Paprika auch benutzt werden. Nach der Vorstellung typischer Gemüsesorten noch ein kurzer Blick auf andere wichtige gemüsebasierte Gerichte Kampaniens wie die Parmigiana di melanzane, ein Auberginenauflauf. Als Antipasto oder Beilage werden oft Zucchini alla scapece (marinierte Zucchini) oder Insalata di rinforzo (säuerlicher Blumenkohlsalat) gereicht.
Pizza
Da wir mit der Nennung von Pizza alle scarole und Pizza alla carrettiera das Thema Pizza schon zweifach berührt haben, aber noch nicht die ungleich wichtigeren neapolitanischen Pizza Margherita und Pizza marinara genannt haben, verweise ich mit diesem kurzen Einwurf auf diese und vor allem auf unsere Extra-Seite “Pizza”Vgl. ausführliche, bebilderte Lebenmittelinfo-Seite Pizza. Und kurz hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang noch auf die kleinen Mini-Pizze, sei es gebackener oder frittierter Art, auf die Pizza Calzone, die ebenfalls typisch für Neapel ist, und auf salzige Torten wie bspw. den Tortano oder den Casatiello, beides salzige, brotartige gefüllte Kränze, die vor allem zu Ostern gegessen werden. Apropos Brot: Typisch neapolitanisch ist das leckere Pane cafone.
In den Ebenen der Provinzen Caserta und Salerno wird die zweite wichtige Zutat für die Pizza produziert. Dort weiden nämlich die Wasserbüffel, aus deren Milch der Vgl. ausführliche, bebilderte Lebenmittelinfo-Seite MozzarellaBüffel-Mozzarella (DOP) gemacht wird. Die ursprünglich sumpfigen Gebiete wurden teilweise erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts trockengelegt, so dass die Wasserbüffel sich hervorragend zur Bewirtschaftung der Böden eignen. Ein weiters DOP-Käseprodukt ist der aus der gleichen Milch gewonnene Ricotta di bufala campana, der allerdings wie der Mozzarella ein großes Herstellungsgebiet hat, das auch Teile Latiums, Molises und Apuliens mit einschließt. Rein aus Kampanien bzw. sogar der Provinz Neapel stammt hingegen der dritte DOP-Käse Kampaniens, der Provolone del Monaco.
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Kampanien hat aber nicht nur Ebenen und Hügel, auf denen alles Mögliche gewonnen wird, sondern natürlich auch einen langen Küstenabschnitt. Das Meer liefert Fische, Muscheln und Krustentiere jedweder Form, was ein sehr vielfältiges Fischangebot ermöglicht. Hier ist besonders auf Gerichte mit Venusmuscheln (z.B. als Spaghetti con le vongole in bianco / rosso ) oder Tintenfischen, sei es als Oktopus (z.B. Polpo alla luciana), sei es als Kalmar (z.B. Calamari alla luciana) hinzuweisen. Ein relativ allgegenwärtiges, einfaches Fischgericht ist Impepata di cozze, bei dem in Wasser gekochte Miesmuscheln mit Zitronensaft und Pfeffer serviert werden. Bemerkenswert ist auch das typisch kampanische Fischgericht Pesce all’acqua pazza (Fische im verrückten Wasser), bei dem die Verrücktheit darin besteht, die Fische in Meerwasser zu kochen. Auf diese “verrückte” Idee kam man wohl im 19. Jahrhundert, um dem Staat bei der Erhebung der Salzsteuer ein Schnippchen zu schlagen. Nicht nur bei diesen Secondi spielt Fisch eine wichtige Rolle, auch bei den Primi und dort besonders bei den Suppen ist dies der Fall. So gibt es Zuppa di pesce (Fischsuppe), Zuppa di cozze (Miesmuschelsuppe), Zuppa di vongole (Venusmuschelsuppe) usw. Auffällig ist, dass Kampanien keine bekannten Thunfisch-Gerichte hervorgebracht hat, denn Salerno ist das Zentrum des Thunfischfangs im Tyrrhenischen Meer.
Nach dem Fisch böte es sich eigentlich an, auf das Thema Fleisch einzugehen, doch dies müssen wir einen Moment zurückstellen, denn die beiden vielleicht wichtigsten Fleischgerichte Neapels sind eng mit Pasta-Gerichten verknüpft, ja eigentlich sind sie Folgen der Pasta-Gerichte. Es geht um das Ragù napoletano bzw. die Salsa genovese. Beides sind Fleisch-Saucen, die mit Pasta gegessen werden (und m.E. zu den köstlichsten Nudelgerichten überhaupt zählen). Und bei beiden ist das zur Herstellung der Sauce gekochte Fleich – ich will nicht sagen: “Abfall”, aber allenfalls gleichwertiges Nebenprodukt der Sauce, wobei das Fleisch dann als Secondo gegessen wird. Neben diesen beiden Leuchttürmen der Nudelsauce, die leider außerhalb Neapels kaum bekannt sind und sicherlich jedes alla bolognese-Nudelgericht in die Tasche stecken, gibt es unzählige Nudelgerichte in der kampanischen Küche. Angefangen bei eher archaischen Pasta-Gerichten wie Ceci e laganelle (mit Kichererbsen) oder den Maccarùni 'o Roje 'e Garibarde des 18./19. Jahrhunderts über die klassischen Spaghetti mit Tomatensauce und die verfeinerten Tomaten-Saucen-Varianten (wie Rigatoni con salsa di pomodorini oder Rigatoni con salsa di pomodorini e mozzarella) bis hin zu gefüllten (z.B. Cannelloni alla napoletana) oder besonders geformten Nudeln (z.B. Reginette und neapolitanische Lasagne). Dazu kommen sozusagen “Sondernutzungen” von Nudeln, die dann nicht gekocht, sondern als Auflauf überbacken (z.B. Timpano) oder auch in Gemüse gegart (z.B. Pomodori ripieni alla napoletana) werden. Diese vielfältigen Pasta-Zubereitungen hatten als Voraussetzung eine wenigstens in Ansätzen mechanisierte Pastaherstellung in größerem Umfang, und diese erfolgte erst während des 17. Jahrhunderts in Neapel und Umland, wie wir in unsererem kurzen Abriss zu Neapel und die Pasta gezeigt haben. Als dann Pasta in ausreichendem Umfang und zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung stand, konnten Nudeln Grundnahrungsmittel werden, und die Neapolitaner, die sich zuvor vor allem von Gemüse ernährt hatten, wurden von magiafoglia (Blätteresser) zu mangiamaccheroni (Makkaroniessser), so ihr Spitzname.
Angesichts der Verbreitung der Pasta verwundert es nicht, dass für Reis, der zwar früher bei Salerno angebaut wurde, kein Platz auf den Speisezetteln war. Eine Ausnahme ist das Reisgericht Sartù, das zu den berühmten traditionellen neapolitanischen Gerichten gehört. Zu diesen gehört auch eine Suppe – um auch den letzten Bereich der Primi kurz zu streifen – namens Minestra maritata (verheiratete Suppe), deren Name allerdings nicht auf ihre Darreichung bei Hochzeiten hinweisen soll, sondern auf die Vereinigung von verschiedenen Gemüsesorten und Fleischsorten anspielt. Dieser Eintopf wird gern in der kälteren Jahreszeit, insbesondere am 2. Weihnachtstag, gegessen.
Am genannten Sartù lässt sich ein weiteres Merkmal der neapolitanischen Küche aufzeigen, nämlich der Einfluss der französischen Küche auf die neapolitanische. Der neapolitanische Adel des ausgehenden 17. bzw. 18. Jahrhunderts war, wie man heute sagen würde, sehr frankophil, und so ließ man zur Verfeinerung des gehobenen Lebensstils die monzù (abgeleitet von französischen Wort für Herr, nämlich monsieur) genannten Köche, aus Frankreich kommen. Diese brachten dann Anregungen und vor allem Namen für neue Speisen mit, die in Neapel heimisch wurden und noch heute zu den Grundpfeilern der dortigen Küche gehören. Neben dem Sartù wäre an den schon genannten Gattò di patate oder auch an die noch weiter unten aufzugreifenden Crocchè und Babà zu denken.
Französischer Einfluss mag auch das Entstehen der schon oben genannten Ragùs (des Ragù napoletano und des Genovese) gefördert haben, denn die Kochtechnik des Ragoût, das langsame Schmoren von Fleisch, war seinerzeit neu und stammte aus Frankreich und wurde dann für die schon genannten Fleischgerichte nutzbar gemacht. Neben diesen hat die neapolitanische Küche allerdings keine herausragenden Fleischgerichte hervorgebracht. Natürlich gibt es leckere Fleischgerichte wie Carne alla pizzaiola (auf Pizzaart) oder Braciole al ragù (Rinderroulade) usw., aber eben nicht im Sinne von häufig gekochten Alltagsgerichten. Mit ursächlich hierfür sind vermutlich die oftmals prekären Lebensbedingungen der Neapolitaner, die froh waren, wenn überhaupt etwas zu essen da war, und von Speisen mit teuren Fleischstücken nur träumen konnten. Man aß das, was erschwinglich war, und das waren beim Fleisch die billigen Fleischteile, die wir heute als Fleischabfälle klassifizieren würden. Aus diesen entstanden Gerichte wie Trippa alla napoletana (Kutteln), Stentinielli d’agnello (gebratene Lammdärme), Milza imbottita (gefüllte Kalbsmilz), Cervella al gratin (gratiniertes Kalbshirn) usw., alles typische Gerichte der Cucina povera, der Küche der Armen, die zum Teil noch heute in Neapel gern gegessen werden. Oft versuchte man mit billigeren Zutaten auch bekanntere Gerichte nachzukochen, wie z.B. mit dem Ragù finto das Ragù alla napoletana. Auch vom Genovese gibt es die Variante Genovese finta und bei einem Muschelgericht kennt man sogar eine Version mit entflohenen Muscheln. Dass der phantasievolle Ersatz von Unerschwinglichem nicht auf den Bereich des Fleischs und Fischs beschränkt war, zeigen Gerichte wie Spaghetti alla puvuriello (auf Art der Armen), bei denen lediglich etwas Fett und Ei die Pasta begleiten.
Bleiben wir beim Ei und beginnen damit eine kurze Vorstellung beliebter Antipasti. Uova alla monachina steht in der schon genannten Tradition der französischen monzù, die die Bechamelsauce nach Neapel brachten. Bei dem Gericht werden nämlich hartgekochte Eier mit einer solchen Bechamelsauce gefüllt – und dann frittiert! Und damit sind wir bei einem typischen Kennzeichen vieler neapolitanischer Speisen, nämlich dass sie frittiert sind. Die Neapolitaner lieben Frittiertes und essen es oft als Streetfood auf der Straße. Besonders in der Gegend um den Hauptbahnhof Stazione Garibaldi wabert der Frittierduft. Frittiert wird so ziemlich alles. Dass man Pizza auch frittieren kann, insbesondere in Form der kleineren Pizzette oder der Calzoni fritti, ist bekannt, doch es geht auch mit Panzerotti, mit Palle di riso (Reisbällchen), mit Crocché (Kroketten), mit Polpette di San Biagio (Cilento), mit Scagliuozzoli (Polentastücke) und Gemüse wie Fiori di zucchini (Zucchiniblüten) und so ziemlich allen Arten von Fisch. Eine typische Antipasti-Zutat ist auch Mozzarella, der als Insalata caprese, aber auch mit Rucola, Oliven, Gamberetti und Sardellen genossen wird – und natürlich in frittierter Form als Mozzarella in carrozza. Unfrittiert auf den Tisch kommt allerdings der Polpo in insalata, wobei der marinierte Oktopus-Salat zu den beliebten Vorspeisen Neapels gehört.
Bleibt zum Schluss noch auf die Dolci einzugehen. Auch in diesem Bereich erweisen sich Neapels Hausfrauen und Pasticcieri als wahre Könner. Schon im Kontext des französischen Einflusses auf die neapolitanische Küche hatten wir oben den Babà (PAT) genannt, ein mit Rum getränktes Hefegebäck, das zu den typischen Dolci gehört. Mindestens ebenso typisch sind die Sfogliatelle (ebenfalls PAT), die es v.a. in zwei Varianten gibt: Als Sfogliatelle ricce (aus Blätterteig) und als Sfogliatelle frolle (aus Mürbeteig). Letztere sind ziemlich schwer selbst herzustellen, und so kaufen die meisten Neapolitaner ihre ricce in der Pasticceria (am berühmtesten ist Pintauro in der Via Toledo 275). Viele Dolci wurden früher aus Anlass eines besonderen Festes hergestellt, sind jedoch mittlerweile fast ganzjährig verfügbar. Zu nennen wären diebezüglich z.B. die Pastiera (ein crostata-ähnlicher Hartweizen-Kuchen mit Ricotta-Füllung), die es zu Ostern gibt, oder das Weihnachtsgebäck Roccocò (gebackene Mandelkringel). Struffoli, ein anderes typisches Weihnachts-“Gebäck”, wird nicht gebacken, sondern (wir ahnen es bereits) frittiert. Auch die Zeppole di San Giuseppe (Brandteig mit Konditorcreme) zum Josephstag werden frittiert. Und die ganz Frittierwütigen frittieren die Konditorcreme auch ohne Teig und haben dann Crema fritta. Im Bereich der Eiscremes ist das Coviglia genannte Semifreddo zu nennen, das z.B. als Coviglia al pistacchio gegessen wird. Aus dem Cilento (SA) stammt die Crostata di fichi, ein leckerer Mürbeteigkuchen mit Feigen.
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Zum Dolce passt übrigens immer eine Tässchen Kaffee oder wie es auf Neapolitanisch heißt: 'na tazzulella 'e cafè (it.: una tazzina di caffè), die Pino Daniele in seinem gleichnamigen Lied besingt.[5] Angeblich trinkt man in Neapel den besten Kaffee Italiens – ein Anspruch, den man mit dem Hinweis untermauern könnte, dass ein in der Geschichte der Kaffeemaschinen wesentliches Gerät nach der Stadt benannt ist: Bis ungefähr zur Mitte des 20. Jahrhunderts bereitete man den Kaffee mit der Caffettiera Napoletana zu, die dann von der Moka abgelöst wurde. Und mit dem Caffè sind wir bei den Getränken. Neben Kaffee ist sicherlich der Strega-Likör zu erwähnen, ein seit über 150 in der Provinz Benevento hergestellter Kräuterlikör, dessen gelbliche Färbung durch Zugabe von Safran erzeugt wird. Weltweit bekannte Weine hat Kampanien nicht hervorgebracht, doch es gibt zwei weiße (Fiano di Avellino, Greco di Tufo) und zwei rote Weine (Aglianico del Taburno, Taurasi), die das DOCG-Prädikat erlangt haben.
Detailkarten der Provinzen
Der Gefahr, der eingangs beklagten Überlagerung Kampaniens durch das dominante Zentrum Neapel Vorschub zu leisten, bin auch ich bei der Formulierung des Textes etwas erlegen, und so sei am Ende noch einmal der Blick auf das Umland und dessen Beiträge zur kampanischen Küche gerichtet. Auf die Bedeutung der Provinzen Caserta und Salerno für die Herstellung der Büffelmilch bin ich oben schon eingegangen. Nachzuholen wäre, dass eines der bekanntesten Mozzarella-Gerichte, nämlich die Insalata caprese (Mozzarella-Tomaten-Basilikum), von der Insel Capri stammt. Von dort kommt auch die bekannte Schokoladentorte Torta caprese. Die Nachbarinsel Ischia hat hingegen das bekannte Kaninchengericht Coniglio all’ischitana hervorgebracht. An der sorrentinischen Küste isst man Spaghetti alla Nerano, Cannelloni alla sorrentina und Gnocchi alla sorrentina, und von der amalfitanischen und salernitanischen Küste stammen hervorragende Zitronen, aus denen Limoncello gemacht wird. Im südlichen Teil der Provinz Salerno, im Naturpark Cilento, wurde die Pizza zur Pizza cilentana (mit Ziegenkäse) weiterentwickelt. In der Provinz Avellino bereitet man neben vielen Gerichten mit Kastanien als Zutat (z.B. Lonza (Schweinelende) con castagne e latte) auch die typischen Fusilli-Nudeln (z.B. als im Ofen überbackene Fusilli al tegamino mit Fleischsauce) zu. Bekannte Gerichte der Provinz Benevento sind die Lasagne alla beneventana (mit Ragù und ohne Ricotta), die Panzerotti Sanniti und Cardone beneventana (Karden-Suppe mit Huhn). Auch Torrone (weißer Nougat) stellt man dort her. Typisch für die Provinz Caserta sind die schon genannte Suppe Minestra maritata (verheiratete Suppe) sowie die Gemüsepfanne Cianfotta.
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Zur Vertiefung: | |
– Lebensmittel-Museen in Kampanien | |
– Kriminalromane aus Kampanien |
Rezepte aus Kampanien
Willst du mehr über Regionalküchen wissen, dann findest du hier noch
- einen Beitrag über mögliche Ursachen der Entstehung regionaler Küchen in Italien
- eine Karte zur Auswahl einer anderen Region und deren typische Rezepte
- ein Verzeichnis aller regional nicht genau zuzuordnenden Rezepte
- Vgl. https://it.wikipedia.org/wiki/Regioni_d%27Italia (Letzter Zugriff: 20.02.2019)↵
- Vgl. Paolo Grassi: Napoli, è record di disoccupati, in: Il Corriere del Mezzogiorno v. 14.03.2018 (Letzter Zugriff: 20.02.2019)↵
- Vgl. Constanze Reuscher: Neapel ist in den Händen der Baby-Gangster, in: Welt v. 15.02.2016 (Letzter Zugriff: 20.02.1019)↵
- Vgl. Treccani (Letzter Zugriff: 20.02.2019)↵
- Das Video mit einem Auszug aus Jim Jarmushs Film Coffee and Cigarettes (mit Roberto Benigni, Iggy Pop und Tom Waits)↵
Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 21. Februar 2024
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