Venetien oder Veneto, wie es im Italienischen heißt, ist nicht nur wegen der Kunst- und Architekturfülle sowie des morbiden Charmes Venedigs attraktiv. Auch das Hinterland bietet mit vielen Villen und Gärten, bizarren Bergpanoramen und lieblichen Hügeln einiges. Und kulinarisch kann die Region mit viel Leckerem aufwarten. Reis, Mais, Bohnen und Radicchio sind Grundpfeiler der regionalen Küche, die zudem besonders viele Geflügelgerichte im weitesten Sinne kennt. Leckere Dolci vermisst man ebenso wenig, doch vor allem lohnt eine Reise ins Veneto, um die vielen Fischgerichte zu probieren, denn die benötigten Zutaten sind hier im Norden kaum beschaffbar, so dass man die Gerichte also vor Ort genießen muss.
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Die heutige Region Venetien ist natürlich mehr als seine Hauptstadt Venedig. Diese ist jedoch seit Jahrhunderten der bestimmende Machtfaktor in der Region. Venedig und sein Hinterland, die sogenannte terraferma, waren nicht nur ein regionaler Machtfaktor, sondern auch darüber hinaus. Seit dem 7./.8. Jahrhundert bildete die Republik Venedig eine See- und Wirtschaftsmacht, die zeitweilig größere Bereiche der Adria zu ihrem Herrschaftsgebiet zählte und Handel mit orientalischen und nordafrikanischen Zentren betrieb. Importiert wurden insbesondere Gewürze wie Pfeffer. Bemerkenswerterweise war Venedig keine auf Adel begründete Dynastie, sondern eine Republik – natürlich nicht im heutigen, demokratisch legitimierten Sinne, sondern mit einem starken klerikalen Einschlag. Der vollständige Name lautete denn auch Serenissima Repubblica di San Marco (dt.: Durchlauchtigste Republik des Heiligen Markus). Der Evangelist Markus wurde zum Stadtheiligen Venedigs, nachdem im Jahre 828 dessen sterbliche Überreste geraubt und nach Venedig überführt worden waren.
Die Unabhängigkeit Venedigs und seines Hinterlandes endete 1797, als es sich die Habsburgermonarchie einverleibte. Erst 1866 wurde es von Österreich losgelöst und fiel an Italien, das als Preis den Anschluss Savoyens und Nizzas an Frankreich akzeptieren musste. Die österreichische Okkupation hat u.a. bis heute andauernde kulinarische Folgen für die Küche Venetiens, denken wir an Spritz oder Strudel, die man noch heute an der Adria schätzt. Andererseits spielte die Küche Venedigs durchaus auch eine Nebenrolle im Kampf gegen die österreichischen Besatzer: Rückgeifend auf das populäre Reis-Erbsen-Gericht Risi e bisi, ergänzte man dessen Farben Weiß und Grün um das Rot von Erdbeeren und ersetzte bei politischen Meinungsäußerungen den verbotenen Schlachtruf Viva Italia kurzerhand durch die Forderung nach Risi e bisi e fragole, also Reis und Erbsen und Erdbeeren – die Farben der italienischen Flagge.
Die im kollektiven Gedächtnis noch vorhandene Zeit der Unterdrückung während der österreichischen Besatzung mag auch eine Teilerklärung für den im heutigen Venetien besonders zum Ausdruck kommenden Wunsch nach mehr politischer Autonomie sein, wie er sich bspw. in Phantasien von einem freien Padanien konkretisiert. Andererseits sind solche Folgen wohl mit dem Strukturwandel, den die Region erlebt, in Verbindung zu bringen. Seehandel ist längst nicht mehr die ökonomische Basis Venedigs, das einerseits am Tropf des Massentourismus hängt, andererseits große Öl-Raffinerien und Chemieindustrie auf dem nahen Festland vorzuweisen hat. Letztere und mittelständische Industrie haben nach dem Zweiten Weltkrieg Venetien zu einer Industrieregion gemacht, die jedoch durchaus noch landwirtschaftlich geprägt ist. Allerdings haben Konzentrationsprozesse ein Höfe-Sterben bewirkt, so dass die heutige Agrarproduktion besonders durch Großbetriebe erfolgt. Der Lebensstand in Venetien, das heute verwaltungstechnisch in sechs Provinzen und die sogenannte Metropolitanstadt Venedig gegliedert ist, ist jedenfalls vergleichsweise hoch – das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt mit 113 Punkten deutlich über dem italienischen Durchschnitt (100 Punkte).[1]
Was isst man nun in Venetien? Die Stellung Venedigs im Handel hatte nicht nur den Import von bislang unbekannten Lebensmitteln zur Folge, sondern schuf auch ein kulinarisches Konglomerat, an dem viele Länder ihren Anteil haben. Zudem lässt unsere obige Orographie-Grafik schon vermuten, dass es nicht die Küche Venetiens gibt, sondern dass unterschiedliche Landstriche aufgrund ihrer Lage ganz unterschiedliche Weisen zu kochen hervorbrachten. Im bergigen, alpinen Bereich spielt Milchwirtschaft eine große Rolle. Kühe, Schafe und Lämmer sind aber nicht nur Basis für eine leckere Käseproduktion (besonders hervorzuheben der Asiago und der Montasio), sondern auch für die Fleischküche, die zudem ergänzt wird durch Wild. Im hügeligen Venetien wird ebenso wie im flachen Hinterland Fleischproduktion betrieben: Rein quantitativ sind es wohl mehr Erzeugnisse aus Kuh- und Schweinefleisch (besonders zu nennen sind im Wurstbereich die Soppressa veneta und der rohe Prosciutto Veneto Berico-Euganeo), charakteristisch aber ist die Begeisterung für Geflügel wie Enten, Gänse, Perlhühner und Truthähne.
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In diesem hügeligen bis flachen räumlichen Bereich werden auch die drei wesentlichen Elemente gewonnen, die tatsächlich in ganz Venetien sehr verbreitet sind: Der Mais, der allerorten in Form von Polenta geschätzt wird, der Reis (besonders als Riso vialone nano südlich von Verona angebaut), der Basis für unzählige Reisgerichte ist, und die Bohnen, die nicht nur für eines der wichtigsten Gerichte Venetiens, Pasta e fasioi, benötigt werden. Daneben gibt regionale Anbaugebiete, in denen verschiedenste landwirtschaftliche Produkte höchster Qualität angebaut werden. Besonders hervorzuheben sind der Radicchio (um Treviso, Chioggia und Castelfranco), der weiße Spargel aus Bassano del Grappa, Kirschen aus Marostica, Knollensellerie aus Ronco all’Adige, Kürbis Marina aus Chioggia, Artischocken von der in der venezianischen Lagune gelegenen Insel Sant’Erasmo usw.. Auf einigen der rund 120 in der Lagune liegenden Inseln wird verschiedenster Gemüse- und Kräuteranbau betrieben, der der Versorgung Venedigs mit exzellenten Produkten dient. In den Küstenbereichen werden natürlich zudem Fisch, Muscheln und andere Krustentiere gefangen und verspeist.
Wenden wir uns den für die einzelnen Speisefolgen typischen Gerichten zu. Bevor wir wie üblich mit den Antipasti beginnen, müssen wir allerdings eine Besonderheit Venedigs aufgreifen. Ein Vorurteil besagt, der Venezianer schwatze und trinke gern. Zumindest in der Öffentlichkeit beginnt er damit ab ca. 11 Uhr am Vormittag. Ungefähr dann beginnt nämlich in den bàcari genannten Weinschenken das Treiben. Man trinkt dort ein Gläschen Wein, plaudert mit diesem und jenem und isst dazu eine cicchetto genannte Kleinigkeit. Der kleine Happen muss sein, damit einem der Wein nicht zu sehr zu Kopfe steigt, da es bei einem Gläschen meist nicht bleibt. Denn dem Aufenthalt in der ersten Weinschenke folgt meist der Besuch einer zweiten: Man begibt sich auf den giro d’ombra (dt. Schattenrundgang) bzw. macht das andare per ombre (dt.: in den Schatten gehen). Die Begriffe stammen angeblich aus der Zeit, als moderne Kühltechnik noch nicht verfügbar war und die (möglichst kühlen) Wein anbietenden ambulanten Weinstände auf dem Markusplatz fortwährend ihren Standort wechselten, um ihren Stand der besseren Kühlung wegen möglichst im Schatten zu postieren (vermutlich aufgrund dieses Hintergrunds nennt man ein kleines (ca. 100 ml) Gläschen Wein in Venedig auch ombra). Da die zu Wein genossenen Häppchen weitestgehend identisch mit den Antipasti sind (sofern diese von ihrer Größe und Konsistenz zum Fingerfood taugen), behandeln wir diese nicht hier, sondern im Zusammenhang mit den …
Antipasti. Diese gibt es in Venetien in den verschiedensten Variationen. Wir beginnen mit drei cicchetti:
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Alle drei cicchetti sind typisch venezianisch und können wahlweise Weißbrot (geröstet oder ungeröstet) oder Polenta-Scheiben als Basis haben. Das Baccalà-Häppchen ist sehr verbreitet und nennt sich Baccalà mantecato, also breiig gemachter, gesalzener Kabeljau. Allerdings ist diese Benennung nicht korrekt: Zwar wird dieser Fisch schon getrocknet (meist aus Norwegen) importiert, doch manchmal wird er dann im Rahmen der Zubereitung gewässert, dann heißt er baccalà, oder er wird trocken verarbeitet, dann heißt er stoccafisso. Dieser Benennung folgt man in ganz Italien – außer in Venedig. Dort nennt man allen Konventionen zum Trotz stoccafisso schlicht und einfach baccalà. Das Breiigmachen von Lebensmitteln ist übrigens kein Phänomen, das sich auf baccalà beschränkt. Auch Radicchio wird manchmal so behandelt und dann z.B. mit Mascarcope und/oder gekochtem Schinken versetzt als Crostini al radicchio mantecato angeboten – wir haben ihn allerdings nicht ganz so stark zerkleinert als Crostini al radicchio gekocht. Überhaupt Radicchio: es gibt ihn gedünstet, gekocht, gebraten, frittiert … in allen erdenklichen Formen gegart wird er für leckere Antipasti genutzt. Eine weitere venezianische Besonderheit ist ein ebendort in den 1950er Jahren kreierter Antipasto, der es mittlerweile zu Weltruhm gebracht hat, nämlich Carpaccio. Das ist in hauchdünne Scheiben aufgeschnittenes rohes Rindfleisch. Rohes Fleisch kennt man zwar schon länger auch in anderen Regionalküchen Italiens (z.B. das piemontesische Carne cruda), doch das Angebot einer venzianischen, von einem Amerikaner gesponsorten Bar hatte das bessere Marketing, wobei allerdings der Gerechtigkeit halber hinzugefügt werden muss, dass in Harry’s Bar auch wegweisende Cocktails (s.u.) erfunden wurden. Zu erwähnen sind schließlich noch die zahllosen Antipasti, bei denen frischer Fisch oder Krustentiere aus der Lagune verarbeitet werden.
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Unter den Primi dominiert neben der Polenta, die man in aus anderen Regionen bekannten Varianten in ganz Venetien genießt (eine regionale Spezialität ist Polenta e osei – mit Singvögeln), vor allem Reis, der in allen denkbaren Varianten zubereitet wird: “Alles, was auf dem Land oder im Wasser wächst, landet irgendwann in einem venezianischen Risotto” formulierte es treffend die renommierte Kochbuchautorin Anna Gosetti della Salda.[2] Unter den für Reisgerichte benutzten Gemüsearten sind besonders beachtenswert Erbsen, mit denen das wichtigste Reisgericht der Region, Risi e bisi gekocht wird, aber auch Spargel (Risotto agli asparagi), Sellerie (Risotto al sedano), Porree (Risotto ai porri), Bohnen (Riso e fagioli), Pilze (Risotto ai cantarelli oder ai funghi porcini), natürlich der allgegenwärtige Radicchio (Risotto al radicchio), aber auch Exotisches wie Hopfensprossen (Risotto ai bruscandoli). Das bekannteste fischbasierte Gericht ist sicherlich das schwarze, mit Tintenfisch zubereitete Risotto al nero di seppia. Auch Reisgerichte mit einem Akzent auf Fleisch gibt es, etwa in Form von Risotto all’isolana (mit Kalb- und Schweinefleisch) oder Risotto alla sbirraglia (Huhn und Kalbfleisch). Zu beachten ist, dass Risotti in Venetien deutlich flüssiger gekocht werden als im sonstigen Norditalien – sie müssen eine onda (dt.: Welle) auf dem Teller erkennbar werden lassen. Mit anderen Worten: Die Reiskörner dürfen keinen Haufen bilden. Etwas kompliziert wird es dadurch, dass die Reisgerichte Venetiens nicht immer “Risotto …” heißen, sondern auch die Form “Riso …” gebräuchlich ist, wobei Letztere sogar noch ein wenig flüssiger als die Risotti sind. Damit verschwimmen etwas die Grenzen zu den eigentlichen Suppen, den minestre. Die bekannteste unter diesen ist sicherlich Pasta e fasioi, was sich zunächst nach einem Nudelgericht anhört, tatsächlich aber eine Bohnensuppe mit Nudeleinlage ist. Auch bei den Suppen gibt es eine große Vielfalt, und natürlich kennt man auch mehrere Varianten mit Radicchio.
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Nudeln gehören nicht zu den großen Themen der Küche Venetiens. Sie dümpeln meist als Einlage in der Suppe, doch es gibt auch einige leckere Nudelgerichte, z.B. Tagliatelle ai piselli (mit Erbsen), das man in Verona gern isst, oder Tagliatelle frisinal, ein aus der jüdischen Küche Venedigs stammendes Gericht mit Hühnerfleisch, Rosinen und Pinienkernen. In Chioggia, einer Nachbarstadt Venedigs, bereitet man gerne Tagliatelle alla chioggiotta zu. Auffällig ist, dass von den bekannten Nudelarten besondern Tagliatelle den Venetiern zu schmecken scheinen. Auch zwei eigene, typische Nudelsorten kennt die Region. Da sind zunächst die Casunziei ampezzani. Dies sind eine Art halbmondförmige Ravioli und sie stammen aus Cortina d’Ampezzo (BL). Gefüllt werden sie mit Rote Bete und Ricotta. Die bekanntere Pastaart sind hingegen Bigoli, was eine etwas dickere Spaghettiart ist. Eine gewisse Berühmtheit haben Bigoli dadurch erlangt, dass sie zu den ersten mechanisch produzierten Pastasorten gehören und das zu ihrer Herstellung benutzte Gerät Bigolaro genannt wurde. Bigoli bestehen heute meist aus Weich- und/oder Hartweizen, doch es gibt auch dunkle Bigoli aus Buchweizenmehl. Das bekannteste Gericht mit Bigoli ist Bigoli in salsa, womit eine Anchovissauce gemeint ist. Ebenfalls verbreitet ist die Kombination mit einer Enten- oder Gänsesauce (Bigoli con l’anatra bzw. l’oca). Diese Saucen benutzt man auch gern für Gnocchi, also z.B. für Gnocchi al sugo di anatra. Bekannter sind die Gnocchi alla veronese oder die Gnocchi alla zucca mit Kürbis.
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Bei den Hauptgerichten, den Secondi, fällt unter dem Stichwort Fleisch besonders die Vorliebe für Geflügel jeglicher Art auf. Von normalen Haushühnern über Perlhühner, Truthähne, Fasane, Wachteln, Puten, Enten, Gänse, Tauben bis hin zu Vögeln kommt so ziemlich alles auf den Tisch, was Federn hat. Das Verspeisen von den Letztgenannten, den Vögeln, stößt allerdings heutzutage an Grenzen. Beispielsweise erfreute sich früher das Gericht Polenta e osei in Venetien und auch in der Lombardei großer Beliebtheit. Doch seine Zubereitung ist heute (richtigerweise!) kaum mehr möglich, denn dafür bedarf es Singvögel (it. uccellini, dialektal: osei) wie Drosseln, Lerchen, Spatzen, Ammern oder Wachteln, doch Wildvögel sind mittlerweile weitestgehend durch EU-Recht geschützt und dürfen nur noch in Ausnahmefällen gejagt werden[3].
Unproblematischer ist die Zubereitung von Wachteln, wie etwa Rezepte wie Quaglie all’uva (Wachteln mit Weintrauben) oder Quaglie col riso (Wachteln mit Reis) zeigen. Weitere typische Geflügelgerichte sind Anatra col pien (gefüllte Ente), Petto d’anatra ai carciofi (Entenbrust mit Artischocken), Oca arrosta col sedano (Gänsebrust mit Sellerie) oder Tacchino alla melagrana (Pute mit Granatapfel). Mit Granatapfel bereitet man gern auch anderes Geflügel zu. Die Anwendung einer Zubereitungsweise bei mehreren Gerichten finden wir auch bei Faraona in salsa peverada (Perlhuhn), denn die begleitende Sauce Salsa peverada auf Basis von Hühnerleber, Soppressa und Anchovis wird auch gern zu Haushuhn oder Taube gereicht.
Neben Geflügel gibt es selbstverständlich auch noch andere Fleischgerichte in Venetien. Das bekannteste überhaupt ist wohl das berühmte Fegato alla veneziana (Kalbsleber). In Italien mindestens ebenso bekannt, andernorts aufgrund seiner verschmähten Grundzutat völlig unbekannt ist Pastissada de cavallo, ein Pferdefleischragu aus Verona. Aber auch Fleisch von Schaf (als Hammel- oder Lammfleisch) ist man gern als Castradina in brodo con verze (mit Wirsing), das traditionell zur Festa della Madonna della Salute im November aufgetischt wird. Und für den weiteren Winter gibt es natürlich mit dem allgegenwärtigen Radicchio auch eine Castradina-Version: Castradina al radicchio.
Über die Vielfalt der Fisch-Gerichte an dieser Stelle berichten zu wollen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Hoffnungslos insofern, als mangels Zugriff auf die benötigten Fische und Krustentiere Rezepte nicht nachkochbar sind. Auf den Tisch kommt so ziemlich alles, was im Wasser schwimmt und krabbelt, und das findet leider nicht seinen Weg zum hiesigen Fischhändler. Wir reden gar nicht von außergewöhnlichem Getier wie Meerspinnen (granseola) oder mo(l)eche (Krebse im Moment des Schalenabwurfs). Schon eine einfache Sardelle oder Sardineist auch auf Bestellung nicht zu bekommen,[4] und so stößt die Zubereitung von Sarde in saor (gebratene Sardinen mit Essig und Zwiebeln mariniert), eines der wichtigsten Fisch-Gerichte, auf Schwierigkeiten. Fischliebhabern kann man daher nur raten, vor Ort die kulinarischen Genüsse zu probieren. Daher sei hier nur noch ein besonders wichtiges Fischgericht der Region genannt. Baccalà genießt man nicht nur wie oben ausgeführt in der Version mantecato, sondern ebenso gern als Baccalà alla vicentina (Stockfisch mit Sardellenfilets).
Unter den Beilagen ist (der aufmerksame Leser wird es schon erwarten) Radicchio der Renner. Die drei oben genannten großen Anbaugebiete und die dort gezüchteten unterschiedlichen Varianten bezeugen die Bedeutung des Radicchio für die Küche Venetiens. Die Vielfalt der Zubereitungsarten hatten wir schon oben angedeutet, und so zeigt unser Radicchio al forno (im Ofen gegrillt) nur eine mögliche Art der Darreichung. Auf Augenhöhe des Radicchio kommen aber auch Bohnen, unter denen eine bestimmte Unterart der Borlotti-Bohnen besonders geschätzt wird, u.z. fagiolo di Lamon aus dem gleichnamigen Anbaugebiet westlich von Belluno. Das wichtigste Gericht, das mit diesen Bohnen zubereitet wird, ist ohne Zweifel das schon oben unter Suppen genannte Pasta e fasioi, doch auch als Beilage werden die Bohnen oft serviert.
Angeblich wird der beste weiße Spargel Italiens bei Bassano del Grappa angebaut – die klassische Zubereitungsart ist Asparagi alla bassanese, doch auch zur Zubereitung der salzigen Torta di asparagi e ricotta eignet er sich gut. Beim Anbau und der Verwertung von Artischocken unterscheidet man sehr fein nach verschiedenen Schnitten. Die bei noch ganz frisch ausgetriebenen Artischockenpflanzen beim ersten Schnitt geernteten Artischocken nennt man castraure, und sie sind so begehrt, dass man sie wohl nur aufgrund guter Beziehungen kaufen kann. Eine beliebte Art der Zubereitung ist Carciofi in tegame, bei der Artischockenböden gedünstet werden. Auch Wirsing steht hoch im Kurs und wird etwa für Verze affogate, Risi e verze oder auch für Suppen usw. benutzt.
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Kommen wir zum Dessert und den Dolci. Sieht man mal davon ab, dass Venetien in Konkurrenz mit anderen Regionen auch die Urheberschaft von populären Desserts wie Tiramisù und Zabaione und dessen Derivate wie Gelato allo zabaione (Zabaioneeis) und Bignè allo zabaione (Windbeutel mit Zabaione) für sich beansprucht, so gibt es doch einige originäre Dolci, die unbestritten aus Venetien stammen. Am bekanntesten ist vermutlich der Weihnachtskuchen Pandoro, die veroneser Antwort auf den mailänder Panettone. Der Begriff “Antwort” ist eigentlich falsch, denn den Pandoro scheint es schon länger als den Panettone zu geben, allerdings wurde er schlechter vermarktet.[5]
Unter den Biscotti sind die weit verbreiteten Baìcoli oder auch die Esse zu nennen. Sehr lecker und sehr geschätzt ist der Mandelkrümelkuchen Fregolotta. Ein Sandkuchen ist die Torta sabbiosa, eine “richtige” Torte hingegen der Schichtkuchen Torta pazientina mit Zabaione aus Padua. Eher einer ländlichen Küche entstammt die Pinza veneta, ein Kuchen aus Maismehl. Dieses ist auch die Basis für die Zaeti genannten Plätzchen. Verschiedene Gebäcksorten, die aus Anlass von Jahrestagen verschiedener Heiliger gebacken werden, wie das Dolce di Sant’Antonio in Padua, runden das Angebot ab. Doch in Venetien wird nicht nur gebacken. Besonders in der Karnevalszeit frittiert man auch gerne, etwa das in Venetien Galani / Crostoli genannte Karnevalsgebäck oder Fritole (it.: Fritelle). Auch die Crema fritta wird schlussendlich frittiert.
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Beim Blick auf die Getränke Venetiens ist zunächst festzuhalten, dass die Region neben Apulien und Sizilien zu den wichtigsten italienischen Weinbauregionen zählt. Unter den Rotweinen sind der Valpolicella, Bardolino und Amarone zu nennen; ein Weißwein, den es als Massenware, aber auch in guter Qualität gibt, ist der Soave. Ähnliches gilt für den Verduzzo, besonders aber für den in den letzten Jahren sehr populär gewordenen Prosecco, der v.a. im nördlich gelegenen Conegliano-Valdobbiadene angebaut wird.
Auch im Vergleich zu Wein stärkere Alkoholika stammen aus der Region, etwa der auf der Basis von Artischockenblättern hergestellte Amaro Cynar, der Zabaione-Eierlikör VOV oder der Kirschlikör Maraschino. Auch der in ganz Norditalien weit verbreitete, hochprozentige Grappa scheint seinen Ursprung in der Region zu haben. Zu nennen sind aber auch die vielen Mix-Getränke, die v.a. aus Venedig stammen. Einen etwas älteren Stammbaum hat das alkoholische Zitronen-Sorbet Sgroppino, das oft mit Wodka-Lemon oder Limoncello und Prosecco zubereitet wird. Jüngeren Datums sind der Aperitif Spritz oder die nach Renaissance-Malern benannten Cocktails Bellini (mit Pfirsich), Rossini (mit Erdbeeren) und Tiziano (mit rotem Traubensaft).
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Rezepte aus Venetien
Willst du mehr über Regionalküchen wissen, dann findest du hier noch
- einen Beitrag über mögliche Ursachen der Entstehung regionaler Küchen in Italien
- eine Karte zur Auswahl einer anderen Region und deren typische Rezepte
- ein Verzeichnis aller regional nicht genau zuzuordnenden Rezepte
- Vgl. https://it.wikipedia.org/wiki/Regioni_d’Italia#Prodotto_interno_lordo (Letzter Zugriff: 29.01.24)↵
- Gosetti della Salda, Anna: Le ricette regionali italiane, Mailand (Casa Editrice Solares) 1967, S. 363↵
- Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Polenta_e_osei#Vogelschutz_und_Traditionen (Letzter Zugriff: 29.01.24)↵
- Es sei denn, man nimmt gleich 10 kg ab …↵
- Vgl. “Von wegen Tradition!”, Interview mit Alberto Grandi, in: Süddeutsche Zeitung v. 15.04.23, S. 60↵
Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 5. Oktober 2024
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