Mit der Authentizität ist es so eine Sache – zunächst stehen wir vor dem
Problem des zeitlichen Bezugsrahmens: Welche ist denn nun zeitlich gesehen die authentische, ursprüngliche italienische Küche? Die Fragestellung beinhaltet schon insofern eine Antwort, als es offenbar nicht die jetzige, aktuelle ist. Welche der bereits vergangenen Arten zu kochen aber ist gemeint? Geht man davon aus, dass eine Zeit der kulturellen Blüte auch ein Erblühen der Kochkunst mit sich bringt, so läge es nahe, sich bzgl. der italienischen Küche auf die der Renaissance oder des Barock zu konzentrieren. Aber: Leonardo, Michelangelo und Bernini war es nicht vergönnt,
Pizza,
Spaghetti mit Tomatensauce oder einen
Espresso zu genießen, denn all diese Dinge kannte man damals noch nicht. Kommende Jahrhunderte werden ihrerseits neue Nahrungsmittel hervorbringen, und insofern ist das Ursprüngliche etwas höchst Relatives. Doch nicht nur Neues kommt hinzu, auch der Umgang mit bereits Bekanntem ändert sich: Eine
Minestrone (Gemüsesuppe) muss, um den ganzen Geschmack entfalten können, nun einmal mindestens anderthalb Stunden kochen – eine Zeitspanne, innerhalb derer so ziemlich alle Vitamine verkocht sind, was ernährungsphysiologisch natürlich nicht optimal ist. Aber deshalb das Gemüse nur
al dente kochen?
Das zweite Problem in Sachen Authentizität sind wir selbst. Genauer gesagt: Unsere Erwartungshaltung gegenüber der italienischen Küche. Wir neigen (verständlicher Weise) dazu, das für typisch zu halten, was wir kennen. Und das ist in den meisten Fällen nicht die italienische Küche Italiens, sondern die Küche, die wir hier in Deutschland als italienische Küche kennenlernen. Und diese wiederum ist geprägt von unseren Geschmacksvorlieben. In einem Interview mit der FAZ[10] hat es der aus Kalabrien stammende Koch Filippo Cogliandro schön auf den Punkt gebracht:
Cogliandro: Im Ausland weiß […] niemand, was echte italienische Küche ist. Was als italienisch angepriesen wird, ist in Wirklichkeit eure eigene Küche! Ihr ändert die Gerichte nach eurem Geschmack ab und nennt sie italienisch. Es tut mir leid, dass ich das so offen sagen muss. Das Label “italienisch” wird nur genutzt, um etwas zu verkaufen.
FAZ: Es sind doch meist Italiener, die italienische Restaurants betreiben, gerade in Deutschland.
Cogliandro: Oft sind die Betreiber aber auch Deutsche oder Araber.
FAZ: Oder Kalabrier.
Cogliandro: Ja, auch, aber wenn Sie in Deutschland eine rein kalabrische Küche anbieten, kommen nur die Kalabrier, dann essen wir unter uns. Das Ausland hat es noch nicht geschafft, sich voll auf die Aromen der italienischen Küche und ihrer Regionalküchen einzulassen.
FAZ: Das heißt, wir bekommen vorgesetzt, was wir selbst für italienisch halten?
Cogliandro: Genau! Für viele besteht die italienische Küche vor allem aus Pasta. Dabei gibt es so viele Produkte, die Italien gastronomisch definieren.
Unsere eigenen Erfahrungen in vielen Ristoranti und Pizzerien in Deutschland bestätigen dieses Bild leider (weshalb wir auch in unserem Beitrag Woran erkennt man einen guten “Italiener”? entsprechende Tipps zum Trennen von Spreu und Weizen geben). Diesen deutsch getrübten Blick auf die italienische Küche etwas zu italianisieren und die authentische italienische Küche durchscheinen zu lassen, versuchen wir insofern, als wir auch Gerichte vorstellen, die man auf den Speisekarten der “Italiener” hierzulande nicht findet.
Authentizität ist schließlich unlöslich mit der Frage nach der Qualität der Zutaten verbunden. Zum Nachkochen vieler Rezepte bedarf es Zutaten, die in Deutschland nur schwer zu bekommen sind. In deutschen Kochbüchern aus den 80er Jahren wurde Ricotta noch stillschweigend mit Speisequark übersetzt. Zum Glück hat sich die Versorgungslage gebessert, doch noch immer fehlt schnell irgendwas. Insofern sind wir auch heute noch zu Abwandlungen gezwungen, doch im Sinne einer authentischen italienischen Küche nenne ich immer die von mir vorgenommenen Abwandlungen und verweise auf die ursprüngliche Zubereitungsart. Das gilt nicht nur für die Zubereitungsweise sondern auch für die Zutaten. Da vieles nicht immer zu erhalten ist, nenne ich bei “schwierigen” Produkten immer Alternativen, die nicht nur zu bekommen sind, sondern auch passen. Das tut leider nicht jeder – nachstehend ein Beispiel.
Exkurs: Melanzane alla rossanese und die Chefköche

Die Notwendigkeit, Original-Zutaten und sinnvolle Ersatz-Zutaten zu nennen, sei am Beispiel eines auf der Seite Chefkoch.de veröffentlichten Rezepts erläutert. Die Autorin hat ihr Profil mittlerweile gelöscht, und so entfällt die Notwendigkeit der Beachtung des ungeschriebenen Gesetzes, Kollegen in der Öffentlichkeit nicht zu kritisieren, und wir können uns die Sache etwas näher anschauen. Leider hat die ungenannte Verfasserin so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann.
Ob das Gericht eine eigene Erfindung ist oder – wie der Titel Melanzane alla rossanese (also Auberginen auf Art von Rossano, wobei Rossano eine Kleinstadt in Kalabrien ist) vermuten lässt – tatsächlich auf ein in Rossano gebräuchliches Rezept verweist, bleibt offen. Bei einer Recherche im Netz finden sich nur zwei weitere Hinweise (1, 2) auf ein Gericht gleichen Namens, die beide allerdings die von unserer Autorin angeführten Haupt-Zutaten, nämlich Schinken und Käse, nicht (!) auf der Zutatenliste führen. In dubio pro reo – gehen wir dennoch davon aus, dass es in Rossano tatsächlich ein Gericht gibt, bei dem neben Auberginen tatsächlich Schinken, Käse, Knoblauch und Öl benutzt werden.
Zunächst fällt auf, dass Angaben zu den im Bild deutlich erkennbar benutzten zusätzlichen Zutaten fehlen, nämlich Frühlingszwiebeln und Reis. Während Frühlingszwiebeln ja noch als mögliche Zutat gelten können, ist die Beigabe von Reis bei diesem scheinbar aus Kalabrien stammenden Gericht völlig absurd: Reis spielt in der kalabrischen Küche eine absolute Nebenrolle und wird ganz sicherlich nicht als “Sättigungsbeilage” hinzugefügt.
Ebenso problematisch stellen sich die ausgewiesenen Zutaten dar. Sehen wir zunächst darüber hinweg, dass die Unmengen an Knoblauch, die benutzt werden, eher Klischees über die knoblauch-futternden Süditaliener spiegeln, als dass sie tatsächliche süditalienische Kochtraditionen illustrieren. Das Problem sind in unserem Kontext vor allen Schinken und Käse. Unsere Autorin empfiehlt als Schinken Schwarzwälder Schinken. Dies zeigt ebenfalls völliges Unverständnis der italienischen Küche. Schwarzwälder Schinken ist geräucherter Schinken, und diesen findet man allenfalls in Gebieten am Alpenrand, ganz sicherlich aber nicht in Süditalien. Der zu empfehlende Schinken muss jedem Fall ein luftgetrockneter Schinken sein. Das gleiche Problem existiert hinsichtlich des Käses, wo die Autorin Emmentaler empfiehlt. Hier ist im Original-Rezept, dessen Existenz wir oben unterstellten, sicherlich ein Filata-Käse genannt, beispielsweise ein Caciocavallo silano, ein Provola, ein Scamorza oder auch ein Caciotta. Welcher Filata-Käse auch immer im Original vorgesehen wurde, man kann ihn natürlich nur durch einen ähnlichen Käse ersetzen, gewiss nicht durch einen völlig anders schmeckenden Emmentaler.
Und damit sind wir beim Grundproblem: Die Autorin empfiehlt vorschnell – vielleicht weil sie die erforderlichen Zutaten für nicht beschaffbar hält – einen Ersatz und macht dabei zwei Fehler: Erstens nennt sie die Original-Zutat gar nicht erst, sondern macht vorschnell eigene Empfehlungen, zweitens sind diese Ersatz-Empfehlungen so weit vom Original-Gericht entfernt, dass das vorgestellte Rezept kaum noch etwas mit dem Original zu tun hat. Ersatz-Empfehlungen sollten möglichst ähnliche Produkte nennen. Um beim Beispiel Käse zu bleiben: Wird in einem Rezept Grana Padano gefordert, kann man ihn sicherlich durch Parmesan ersetzen, ohne den Gesamtgeschmack allzu sehr zu verändern. Wird allerdings Pecorino als Reibkäse gefordert, ist der Unterschied schon größer: Statt Parmesan sollte man überlegen, ob man nicht auch jüngeren, noch nicht reibbaren, sondern nur hackbaren Schafskäse benutzen kann.
Diese Fehler versuche ich bei meinen Rezepten zu vermeiden, indem ich die Original-Zutat angebe und dann – wenn notwendig – Ersatz empfehle, der allerdings möglichst nah am Original und hier in Deutschland beschaffbar sein sollte. Es ist dann Sache des Lesers, die Empfehlungen zu beherzigen, oder das Rezept auf andere Art und Weise zu kochen – das mag durchaus lecker werden, nur sind es dann eben nicht mehr Melanzane alla rossanese, sondern Melanzane alla Matta oder ähnlich.
Aber nicht nur im Internet veröffentlichte Rezepte können in die Irre führen, auch manche Kochbücher sind mitunter mit heißer Nadel gestrickt. Besonders aufpassen sollte man aber bei Fertigprodukten. Hier wird aus ökonomischen Gründen besonders viel geschummelt, um nicht zu sagen: betrogen. Beispiel: Pesto-alla-genovese-Sauce. Fast jeder Supermarkt bietet Pesto-Fertigprodukte von verschiedenen Herstellern an. Wie dabei der Verbraucher betrogen wird, haben wir in unserem Rezept Pesto alla genovese anschaulich geschildert. Fällt man auf so etwas herein, hat man nicht nur sein Geld verplempert, sondern hat vor allem ein Geschmackserlebnis versäumt, denn echtes Pesto alla genovese ist eben viel, viel leckerer. Damit ein Gericht schmeckt wie in Italien, muss es möglichst authentisch gekocht sein, und dazu versuchen wir einen kleinen Beitrag zu leisten.
Wie schon eingangs angedeutet, lasse ich moderne, zeitgeistige Küche etwas links liegen. Das Neue um des Neuen willen treibt schon in der Kunst mitunter fragwürdige Blüten. Die Kochkunst ist zwar auch eine Kunst, sollte aber nicht glauben, diesem Prinzip zur eigenen Nobilitierung folgen zu müssen, sondern sich auf Bewährtes besinnen, das in Zeiten, in denen internationale Fastfoodketten auch in Italien traditionelle Esskultur zerstören, ohnehin bedroht ist. Elena Kostioukovitch, Essayistin, Literaturübersetzerin und anerkannte Kennerin der italienischen Küche, spricht mir aus dem Herzen, wenn sie schreibt: “Köche mit kreativen Ambitionen (Gott bewahre uns vor diesem Übel)”[11]. Besinnen wir uns also darauf, so zu kochen wie früher die Großmutter: „alla nonna“. Modische Cross-over-Experimente wie Pizza mit Sushi bleiben mir ebenso fremd wie zeitgeistiges Besteuen aller Speisen mit Rucola oder Sesam. Was nicht als Absage an spannungsreiche Gerichte, die z.B. vom Kontrast von süß, sauer und salzig leben (etwa Insalata di arance), zu verstehen ist, denn die gibt es auch in der traditionellen Küche.
Die Forderung nach Authentizität beinhaltet für mich selbstverständlich auch, dass auch meine Texte und Bilder authentisch sind, und das heißt in diesem Fall zunächst: von mir stammen. Alle hier veröffentlichten Texte (sofern nicht ausdrücklich als Zitat gekennzeichnet) sind selbst formuliert und alle Rezeptefotos sind selbst geschossen, und auch der überwiegende Teil des illustrierenden Bildmaterials stammt von mir (Fremdquellen sind ausgewiesen – und an dieser Stelle ein großes Dankeschön, an die vielen Fotografen, die ihre Fotografien zur kostenlosen zur Nutzung veröffentlichen!). Doch nicht nur wortwörtliches Abschreiben (wie man es leider auf vielen Kochseiten im Internet findet – ein Negativbeispiel auf der Seite Torta della nonna) ist tabu, auch das indirekte Abschreiben durch Umformulieren und Paraphrasieren von Texten ist nicht akzeptabel. Auch wenn ich aufgrund persönlicher biographischer Beziehungen zu Italien vieles aus erster Hand zu berichten vermag, nutze auch ich bereits publiziertes Material in Form von Kochbüchern oder Internetseiten. Nur müssen diese Informationen auch sorgfältig geprüft und abgeglichen werden, denn die Forderung nach Authentizität beinhaltet auch den Anspruch, nichts Falsches zu veröffentlichen. Und das wiederum erfordert, dass selbstverständlich alle Rezepte auch von mir ausprobiert werden, bevor ich sie publiziere.
Ich muss sagen Hut ab, wenn ich die Herangehensweise zu den Nährwertangaben lese. Ich gehe auch so vor, dachte aber lange ich hätte die richtige Seite ncoh nicht gefunden. Insofern danke für die Bestätigung.
Grüße
R. Kader
Liebe Matta,
herzlichen Glückwunsch zu Deinem sehr gelungenen Blog.
Alle Achtung, wie Du an das Fachgebiet der Italienischen Küche herangehst.
Sehr informativ, umfassend, weitgefächert….
Der Leser merkt mit wieviel Liebe Du die Themen aufarbeitest.
Ich danke Dir für Deinen Beitrag zu guter und einfacher Ernährung.
Weiter so, ich freue mich schon auf Deine kommenden Veröffentlichungen.
Bruno
Danke für Deine großartige Seite! Ich habe heute sehr viel Zeit damit verbracht, hier zu stöbern (und werde das ganz sicher noch öfter). Was für eine Fülle an interessanten und nützlichen Informationen und Rezepten die ich unbedingt bald ausprobieren möchte! Und trotzdem ist alles sehr übersichtlich und schön gestaltet, es macht einfach Spaß sich hier reinzulesen.
Das ist aber ein nettes Kompliment. Danke!!
Wow! Ich bin durch Zufall über deinen Blog gestolpert. Ich hatte was zum Thema “Weizenmehl” gesucht und bin hier gelandet. Ich habe mich gerade eine Stunde festgelesen und dachte “Reschpeckt”. Ich denke ich komme jetzt öfter 😉
Danke schön, das ist nett 🙂
Meine Güte!!
Was für ein geballtes Wissen in diesem Blog doch steckt. Mich hat es aus den Socken gehauen.
Ich kann nur den Hut ziehen und mich bei dir bedanken, dass du dein Wissen über die Essgewohnheiten Italiens so ausführlich weitergibt.
Die Freude in deinem Blog zu lesen, werde ich an meine Freunde weiterleiten.
Vielen Dank für diesen wissenswerten Blog
MfG Angelika
Hallo Angelika, vielen Dank für das nette Kompliment!! LG Matta
Hallo Matta,
ich bin vor einigen Tagen auf deinen Blog gestoßen und habe seitdem Stunden damit verbracht, mich durch die Rezepte und Infoseiten zu klicken. Absolut begeistert bin ich davon, wie viele Infos zum historischen und kulturellen Kontext zu den Rezepten des Blogs steckt. Das muss wahnsinnig viel Arbeit gewesen sein, das alles zusammenzutragen. Vielen Dank für deine Mühe, ich glaube, ich werde noch viel Spaß an deinem Blog haben.
Liebe Grüße, Jasper
Hallo Jasper,
vielen Dank für die freundlichen Worte. Ja, es kostest alles viel Zeit, macht aber noch mehr Spaß 🙂
LG Matta
Hallo Matta,
auch ich bin zufällig auf Deinen Blog gestoßen. Mit 70 Jahren gehöre ich eher zur alten “Toskanafraktion”. Im Laufe der Jahre habe ich, neben den kulinarischen Erfahrungen vor Ort, auch “authentische” italienische Rezepte gesammelt und verglichen. Deshalb darf ich sagen, dass Deine Rezepte durchgängig sehr nahe an den ursprünglichen Rezepturen sind. Ich kann Dir zu Deinen Seiten nur gratulieren; es ist das Beste, was ich auf dem Gebiet “authentische italienische Rezepte” bislang gefunden habe. Sehr mutig finde ich es von Dir, dass Du Dich wirklich auf die traditionellen und bewährten Rezepte beschränkst, sozusagen auf die ESSENZ der italienischen Küche in den verschiedenen Regionen. Danke also für diese eindrucksvolle Zusammenstellung und viel Freude und Inspiration für Deine weitere Arbeit am Blog.
Herzliche Grüße von Johann-Peter
Hallo Johann-Peter, vielen Dank für die lobenden Worte – tut gut 😉 Wir bemühen uns, die Qualität zu halten …
HG Matta
hallo Matta,
ich liebe Deine Rezepte und auch die Links dazu, ich habe einige Koch-blogs angeschaut aber deiner hat bei mir Priorität. Auch liebe ich die italienische Küche und alles was dazu gehört.
Mein grosses Kompliment an Dich und Deinen Mann!
lieben Gruß aus Wien
Daniela
Danke Daniela 🙂