Virtù

Le virtù ist ein mächtiger Winter- und Frühlingseintopf aus den Abruzzen, der im Idealfall aus 49 Zutaten (Gemüse, Fleisch, Kräutern ...) besteht und am 1. Mai in einer großen Gemeinschaft kollektiv verspeist wird.

Virtù

Winter- und Frühlingseintopf
virtù
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Menge (anpassbar) 8 Portionen
Vorbereitungszeit 2 Stunden
Kochzeit 2 Stunden
Arbeitszeit gesamt 4 Stunden
Kalorien 620 kcal

Zutaten

  • 250 g verschiedene Hülsenfrüchte getrocknet
  • 200 g Erbsen gepalt aus ca. 600 g frischen Erbsenschoten
  • 150 g Bohnen (grün) frisch
  • 600 g verschiedenes Gemüse frisch
  • verschiedene Kräuter möglichst frisch
  • 2 Zwiebeln
  • 2 Zehen Knoblauch
  • 300 g Schweinefleisch
  • 1 Schweineschwarte
  • 150 g Schinken (roh) crudo, gewürfelt
  • 250 g Pasta
  • Pecorino gereift (stagionato)
  • 3 EL Olivenöl extra vergine
  • Salz
  • 1 Peperoncino (frisch)
  • Peperoncino (Pulver)

Anleitung

  • Die getrockneten Hülsenfrüchte nach Sorten getrennt 12 Std. über Nacht in Wasser einweichen.
  • Wasser der Hülsenfrüchte abgießen und diese entsprechend ihrer jeweiligen Garzeiten nach und nach (d.h. erst die mit der längsten Kochdauer, dann die mit der zweitlängsten usw.) in einen entsprechend großen mit etwas Wasser gefüllten Topf geben und fast gar kochen.
  • Wasser abschütten und Hülsenfrüchte beiseite stellen.
  • Das Schweinefleisch und die Schweineschwarte in einen zweiten Topf geben, mit Wasser bedecken und zunächst stark aufkochen, dann Hitze reduzieren und zugedeckt ca. eine knappe Stunde garen.
  • Das Fleisch aus dem Topf nehmen, zerkleinern und dann zurück in den Topf geben.
  • Zwiebeln hacken und Knoblauch fein hacken und zusammen beiseite stellen.
  • Frischen Peperoncino sehr fein hacken.
  • Alle Gemüse (einschließlich der frischen Bohnen und Erbsen) waschen, putzen und ggf. etwas zerkleinern.
  • Alle Kräuter waschen, putzen und hacken.
  • Öl in einen größeren Topf geben, erhitzen und darin die Zwiebeln und das Knoblauch leicht anbraten.
  • Gemüse, frischen Peperoncino und Gewürze in den Topf mit den Zwiebeln geben, Wasser hinzugießen und fast gar kochen. Dabei das Gemüse je nach notwendiger Garzeit nach und nach (d.h. erst das mit der längsten Kochdauer, dann das mit der zweitlängsten usw.) dazugeben, erst am Schluss die Gewürze.
  • Gemüse abgießen und Gemüsebrühe dabei auffangen und beiseite stellen.
  • Gemüse zusammen mit dem Schinken und den Hülsenfrüchten aus dem zuerst benutzten Topf in den großen Topf mit dem Fleisch geben. Die dort vorhandene Fleischbrühe je nach Bedarf mit Gemüsebrühe verlängern.
  • Je nach notwendiger Garzeit die verschiedenen Nudelsorten dazu geben und al dente kochen.
  • Den Eintopf mit Salz und Peperoncino (Pulver) abschmecken.
  • Mit geriebenem Pecorino servieren.

Rezept-Hinweise

Bzgl. der genauen Zutaten vgl. Text unten.
 
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Nährwerte

Kalorien: 620 kcal | Kohlenhydrate: 45 g | Protein: 41 g | Fett (gesamt): 16 g | ges. Fettsäuren: 5 g | mehrfach unges. Fettsäuren: 2 g | einfach unges. Fettsäuren: 8 g | Cholesterin: 17 mg | Natrium: 1461 mg | Kalium: 638 mg | Ballaststoffe: 14 g | Zucker: 12 g

Meine Notizen

 

virtù

 

gemuesefahne_55Nicht nur wer am 1. Mai in großer Gemeinschaft (Nachbarschaft, Verwandschaft oder auch erstermaigemäß: Gewerkschaft und “Arbeitskollektive” …) speisen will und dazu viele Portionen benötigt, sollte sich mal Le virtù anschauen. Das ist ein mächtiger Eintopf aus den Abruzzen, der im Idealfall aus 49 Zutaten (Gemüse, Fleisch, Kräutern …) besteht und bei dem auf sinnvolle Weise die Reste des alten Jahres verwertet werden. Gegessen wird er am 1. Mai in großer Gesellschaft.

 

gemuesefahne_55
Der Hintergrund dieses Essen besteht wohl darin, dass man am Ende des Winters bzw. am Beginn des Frühlings einerseits diesen Wechsel der Jahreszeiten feierlich begehen wollte, andererseits dies mit der praktischen Absicht verband, die noch vorhandenen Vorräte des Winters aufzubrauchen. Typisch für das Gericht ist jedenfalls, dass es einerseits aus lang haltbaren Lebensmitteln (besonders getrockneten Hülsenfrüchten und verschiedensten getrockneten Nudeln), andererseits aus frisch im Frühjahr gesprossenen Gemüsen und Kräutern besteht. Gegessen wird das Gericht in der Gemeinschaft mit Familie, Freunden und Nachbarn – früher haben in den Abruzzen (besonders in der Provinz Teramo, wo das Gericht herstammt) wohl ganze Dorfgemeinschaften kollektiv miteinander am 1. Mai getafelt bzw. war das gemeinschaftliche Verspeisen von Le virtù der Höhepunkt von Festlichkeiten, bei denen man u.a. singend durch das Dorf zog und die Ankunft des Monats Mai verkündete. Ein gemeinschaftlich speisendes Dorf setzt natürlich auch entsprechende Mengen des Gerichts voraus, und so wundert es nicht, dass ich bei meinen Recherchen zu Le virtù auf Rezepte für über 30 Portionen gestoßen bin. Dass die Rezeptur des Gerichts breit gefächert ist und sicherlich auch in Abhängigkeit zu den Lebensmitteln, die aus dem alten Jahr stammten und deshalb zu verbrauchen waren, wechselte, wird ebensowenig verwundern.

 

gemuesefahne_55Le vitrù ist aber nur bedingt Resteessen: Es werden, wie oben ausgeführt, auch frische Gemüse und Kräuter benutzt, und auch die Lebensmittel der vergangenen Saison wurden nicht wahllos verbraucht, sondern ihre Nutzung folgte einem bestimmten System. Um dies erklären zu können muss ich jedoch etwas weiter ausholen und den Namen des Gerichts und dessen Bewandtnis zu erklären versuchen: Virtù heißt übersetzt die Tugend (Sg.) oder die Tugenden (Pl.). Bezeichnete der Begriff arete in der griechischen Antike zunächst nur eine besonders treffliche Qualität in der Ausübung einer Tätigkeit oder Ausprägung eines Charakteristikums, bekam dieser Begriff schon bei den griechischen Philosophen einen moralischen Akzent im Sinne einer wünschenswerten Eigenschaft, die zu besitzen als vorbildlich galt. Von Platon stammt die Definition der vier Grundtugenden, die zu besitzen erstrebenswert sei und die seit dem Mittelalter Kardinaltugenden genannt werden, nämlich Klugkeit (prudentia), Gerechtigkeit (iustizia), Mäßigung (temperantia) und Tapferkeit (fortitudo). Neben diesen Kardinaltugenden kennt die christliche Kirche noch drei sogenannte theologische Tugenden, nämlich Glaube (fides), Liebe (caritas) und Hoffnung (spes). Die Kardinaltugenden und die theologischen Tugenden wurden bereits von Papst Gregor I (540 – 604) zu einer Gruppe der Sieben Tugenden zusammengefasst. Sind die Zehn Gebote eine Handlungsanweisung an den Gläubigen, dies zu tun und jenes zu lassen, so formulieren die Sieben Tugenden eher Verhaltensprinzipien, an denen sich das tägliche Handeln der Gläubigen ausrichten soll. Wichtig zu ergänzen sind noch zwei Aspekte: Die Sieben Tugenden wurden in der Kunst für die oft des Lesens unkundigen Gläubigen häufig dargestellt, und da es sich ja um abstrakte Begriffe handelt, stellte man die Tugenden allegorisch meist als weibliche Personifikationen dar, die durch bestimmte Attribute voneinander unterscheidbar sind. Beispielsweise ist die Klugheit oft an einer sie begleitenden Schlange oder an einem mitgeführten Spiegel zu erkennen. Zweitens muss man sich vergegenwärtigen, dass nicht nur die Konfrontation der Gläubigen mit den Tugenden deutlich höher war als heute, sondern dass auch der Umstand bedeutsam ist, dass es nun ausgerechnet sieben Tugenden sind. Sieben ist nämlich die heilige Zahl der Bibel und verweist symbolisch auf die Totalität der göttlichen Schöpfung. So gibt es beispielsweise sieben Schöpfungs- bzw. Wochentage, sieben Planeten, sieben Töne der Tonleiter usw., und auch in anderen Systemen (z.B. sieben freie Künste, sieben Werke der Barmherzigkeit, sieben Sakramente, sieben Todsünden usw.) spielt die Zahl Sieben eine große Rolle.

 

Lorenzetti Buon governo
Ambrogio Lorenzetti: Allegorie der guten Regierung (Ausschnitt)
1338/39; Fresco; Siena (Palazzo Pubblico)
Um das Haupt der Verkörperung der Stadt Siena (in Gestalt der mittleren, zentralen, männlichen Figur) schweben die theologischen Tugenden Hoffnung, Liebe und Glaube (von li.), während neben ihr die Kardinaltugenden sitzen, die um Pax und Magnanimita vermehrt sind: Frieden, Tapferkeit, Klugheit, Großmut, Mäßigung und Gerechtigkeit (von li.) – dies seien die Tugenden, durch die sich eine gute Regierung auszeichnen möge.

Bildinfo

Page URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AAmbrogio_Lorenzetti_-_Allegory_of_Good_Government_-_Google_Art_Project.jpg
File URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cd/Ambrogio_Lorenzetti_-_Allegory_of_Good_Government_-_Google_Art_Project.jpg
Attribution: Ambrogio Lorenzetti [Public domain], via Wikimedia Commons

Authentisch-Italienisch-Kochen.de

 

gemuesefahne_55Damit haben wir den Namen des Gerichts geklärt. Aber nicht nur das – das Essen von Virtù bedeutete früher, als der inhaltliche Kontext noch präsent war, eine (wenn auch vielleicht nur oberflächliche) Bekräftigung von Verhaltensnormen, an denen sich der Einzelne und die Gemeinschaft (→ gemeinschafliches Essen) orientieren sollten. Wahrscheinlich habt ihr euch schon gefragt, wer denn dieses, angesichts der vielen herzustellenden Portionen sehr aufwendige Essen kochen sollte. Genau: Sieben (!) tadellose, d.h. die Tugenden beachtende Jungfrauen waren der Legende nach die Köchinnen des Gerichts, und jede brachte sieben (!) Zutaten mit, so dass man im Idealfall auf 49 Zutaten kam. Damit nicht genug: Nach Möglichkeit sollten von jeder Zutatengruppe sieben unterschiedliche Varianten eingebracht werden, also sieben getrocknete Hülsenfrüchte als Wintergemüse, sieben frische Frühjahrsgemüse, sieben Fleischstücke, sieben Kräuter, sieben sonstige Gewürze usw. Man kann sich vorstellen, dass diese Regeln nicht immer befolgt wurden und werden und eher Hinweise zur Orientierung darstellen, und so ist denn auch die oben bzw. nachstehend angeführte Rezeptur nicht nur quantitativ eine Vereinfachung, sondern auch eine etwas subjektive Variante, die man jedoch – individuell abgewandelt – durchaus einmal im Frühjahr, vielleicht als Alternative zur klassischen Minestrone, ausprobieren sollte. Beachten sollte man bei eigenen Varianten hinsichtlich der Konsistenz, dass Le virtù ein relativ dickflüssiger Eintopf und kein plätscherndes Süppchen ist.

 

gemuesefahne_55Ich habe oben in einigen Fällen die Zutaten bewusst sehr allgemein angegeben und möchte hier das Eine oder Andere präzisieren. Als getrocknete Hülsenfrüchte wären bspw. Borlotti-Bohnen, Cannellini-Bohnen, Tondini-Bohnen, Saubohnen, Linsen, Kichererbsen und Platterbsen möglich (genau: sieben Arten!). Als frisches Gemüse eignen sich Möhren, Zucchini, Spinat, Mangold, Staudensellerie, Artischockenherzen, Fenchel, Kartoffeln, Endivie und Zicorie (stimmt: das sind mehr als sieben). Als Kräuter kommen in Frage Petersilie, Basilikum, Orgigano, Majoran, Minze, Dill und Borretsch (jetzt sind wir wieder bei sieben). Beim Fleisch wird’s schwieriger: Klassisch sind Fleischstücke, die deutlich machen, dass das Gericht trotz seiner Üppigkeit letztendlich aus Zeiten stammt, in denen die Menschen sehr viel weniger wohlhabend waren als heute, und so im doppelten Sinne ein typisches Gericht der Cucina povera darstellt. Zwar hat Le virtù sicherlich früher Festtagscharakter gehabt, doch die Fleischzutaten, die früher den Festtagscharakter erst herstellten, sind heute schwer zu beschaffende Fleischabfälle: Schweinefuß, Schweineschwanz, Schweineohren und Schweineschwarte. Will man die Fleischzutaten vielleicht etwas aktualisieren, so wären Stücke aus Schweine-Schulter oder -Bauch denkbar. Die Pasta als Zutat ist hingegen unproblematisch, wurde doch früher an getrockneter Pasta alles zusammengekratzt, was noch da war. Auch Pasta lunga geht, sollte jedoch vor dem Kochen zerkleinert werden. Ebenso kann auch Pasta fresca benutzt werden.

 

gemuesefahne_55Ob oben unterstellter Namensbezug (sieben tugendhafte Jungfrauen …) tatsächlich zutreffend ist, ist ungesichert. Es mag auch sein, dass es mit den Tugenden eine ganz andere Bewandtnis hat. Möglich wäre, dass Virtù sich auf die Fähigkeit des Haushaltsführers, mit den begrenzten Mitteln erfolgreich über den Winter zu kommen, bezieht und dies als Tugend preist. Sicherlich ist auch das Bewältigen der vielen verschiedenen Zutaten, die auch noch quantitativ in großen Mengen verarbeitet werden, durch die Köche als eine besondere Tugend zu loben – und vielleicht auch namensgebend. Auch der Ursprung des Gerichts ist nicht genau geklärt. Nachgewiesen ist das Gericht jedoch bereits durch ein Schreiben eines Poggio Bracciolini (1380-1459)[1], der allerdings das Gericht nach Rom, und nicht in die Abruzzen, verortet.

 

gemuesefahne_55Wie dem auch sei, jedenfalls findet bei Le virtù eine sinnvolle Resteverwertung statt: Die Vorräte des vergangenen Winters werden aufgebraucht und mit frischen Zutaten zu einem leckeren Essen verkocht. Auf heute übertragen ist dies vielleicht eine Anregung, auch im eigenen Haushalt mal zu schauen, was noch da ist und was man damit machen kann. Bevor die Mindesthaltbarkeit von Konserven oder Gefriergut abläuft und man die Lebensmittel dann wegwirft …

 

gemuesefahne_55Angesichts der oben genannten Mengen sollte ich hinzufügen, dass man das Gericht auch auf Vorrat produzieren und einfrieren kann, wenn auch die Pasta dabei ein wenig matschig wird.

 

Hier findest du mehr Rezepte aus den Abruzzen.

 

 

Fußnoten    (↵ zurück zum Text; ggf. geschlossenen Text zunächst öffnen)

  1. Vgl. http://blog.abruzzoupndown.com/2013/11/virtu-ricetta-abruzzo.html sowie https://it.wikipedia.org/wiki/Virt%C3%B9_%28gastronomia%29 (Letzter Zugriff: 07.03.16)

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 5. Januar 2024
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