Zicklein

Zicklein gelten in italienischen Küche als Delikatesse. Es sind sehr junge Ziegen, die einen leichten Eigengeschmack besitzen und früher häufiger, vor allem in Not-Zeiten, auf den Tisch kamen, und dies besonders zum Osterfest.

 

Milchkitz
Ziegen auf der Via Appia Antica bei Rom

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Ziegen in Neapel
Ziegen-Karren in Neapel, 05.05.1938

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Es mussten schon echte Not-Zeiten (oder ein hoher Fest- und Feiertag) sein, wenn früher eine Ziege verschmaust wurde. Ziegen waren die “Kuh des kleinen Mannes” und bereicherten die bäuerliche Landwirtschaft vor allem mit Milch bzw. dem daraus hergestellten Käse – die Fleischproduktion hatte untergeordnete Bedeutung. Auch das Leder wurde genutzt, und die Tiere wurden sogar als Zugtiere oder zum Tragen von Lasten eingesetzt. Aufgrund von zwei besonderen Merkmalen werden Ziegen noch heute in der Landschaftspflege genutzt, nämlich dann, wenn das Gelände sehr steil ist (Ziegen sind gute Kletterer) und wenn eine Art Kahlschlag erwünscht ist: Im Gegensatz zu Schafen, die primär Gras futtern, mögen Ziegen auch Sträucher, Baumrinden usw., so dass ihr Einsatz die Verbuschung eines Geländes verhindern kann.

 

In Deutschland ist der Ziegenbestand vergleichsweise gering: Wir haben nur knapp ein Fünftel der Tiere, die Italien aufzuweisen hat, wobei Italien (nach Griechenland, Spanien und Frankreich) auch nur auf Platz 4 der europäischen Ziegenhalter steht.[1] Insofern ist verständlich, dass die Ziege in der italienischen Küche auch eher präsent ist als in der deutschen. Aber eigentlich ist es nicht “die Ziege”, denn diese gilt als zäh, und den Ziegenbock verschmäht man aufgrund seines Geschmacks völlig. Gegessen werden hingegen ausschließlich Jungtiere, die vor allem nach ihrer Ernährung unterschieden werden: Am zartesten sind die Milchzicklein (it.: capretto da latte), die ausschließlich von Muttermilch ernährt werden, etwa vier bis sechs Wochen alt sind und um die 4-8 kg wiegen.[2] Jungziegen (it.: capretto) werden hingegen bis zu 12 Monate alt und sind v.a. über die Phase der Ernährung durch Muttermilch hinaus.

 

Zicklein
“Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust …” (Goethe)
Ob man so etwas Niedliches wirklich verspeisen sollte …?

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Die ethische Frage, ob man ein paar Wochen alte Tiere aufgrund ihres guten Geschmacks töten sollte, ist tunlichst nicht in einem Kochblog zu diskutieren. Ich verweise aber auf italienische Initiativen, die sich für einen stärkeren Schutz von jungen Zicklein und Lämmchen einsetzen,[3] vor allem in der Osterzeit, denn sowohl Zicklein als auch Milchlamm gehören zu den klassischen Oster-Secondi; ein zweiter, aber deutlich geringerer Zicklein-Höhepunkt liegt in Süditalien um Ferragosto. Waren es 2013 noch 4 Mio. Tiere, die zu Ostern auf dem Tellern landeten, waren es 2016 nur noch etwas mehr als 2 Mio., Tendenz also sinkend.[4] Was die Verteilung auf Zicklein und Milchlamm anbelangt, so überwiegt insgesamt das Lamm, insbesondere im Latium wird zu Ostern das Abbacchio romanoVgl. ausführliche, bebilderte Lebenmittelinfo-Seite Abbacchio romano geschätzt. Geographisch betrachtet werden in Süd- und Mittelitalien zu Ostern mehr Ziegen als in Norditalien gegessen, was sicherlich auch mit der unterschiedlichen Intensität der Ziegenhaltung zusammenhängt, denn aufgrund des Umstands, dass Süden und Mitte Italiens bergiger sind als der Norden, werden dort auch mehr Ziegen gehalten. Besonders in Kalabrien und in der Basilikata (und m.E. auch in Sizilien) wird zu Ostern häufiger Zicklein als Lamm gegessen.[5]

 

ziege

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Gestehen muss ich, dass ich die Ursache dafür, dass man zu Ostern gern Zicklein speist, nicht ganz herausgefunden habe. Ich vermute, dass die Sitte einfach aus deutlich ärmeren Zeiten stammt, in denen an regelmäßigen Fleischkonsum nicht zu denken war und dann, wenn zu einem Festtag einmal Fleisch aufgetischt wurde, man das aß, was man hatte, und das waren wohl oft junge Ziegen. Warum dann zu einem der wichtigsten Festtage des Christentums aber nicht zum Schaf gegriffen wurde, das vermutlich in ähnlicher Reichweite war, sondern zur Ziege, hat sich mir nicht ganz erschlossen, denn das Schaf ist, was seinen religiösen Stellenwert anbelangt, deutlich der Ziege überlegen: Das Schaf ist das agnus dei, das Lamm Gottes, wohingegen die Ziege bestensfalls in der mittelalterlichen Malerei in Weihnachtsbildern die “aufmerksam lauschende, ‘erkennende’ Kreatur”[6] ist, ansonsten aber in der christlichen Ikonographie zu den Teufels- und Dämonensymbolen gehört.[7]

 

Ernährungsmäßig toppt jedenfalls die Ziege das Schaf deutlich – zumindest nach unseren heutigen Ernährungswünschen, die meist auf Kalorienreduktion abzielen, denn Ziegenfleisch ist deutlich magerer, da der Fettanteil im Vergleich zu Lamm (und anderen Fleischtieren) sehr gering ist. Geschmacklich sind Zicklein und Lamm nur schwer zu unterscheiden, weshalb in Italien die Metzger oft den Kopf des Zicklein mit auslegen, um so die Herkunft des Fleischs zu verbürgen. Gegessen wird natürlich nicht der Kopf, sondern besonders Rücken, Keule, Schulter. Aus letzterer – und damit sind wir bei den Zubereitungsarten – werden gerne Koteletts geschnitten, die dann (mit Ei und Paniermehl) paniert und frittiert werden. Ganz klassisch ist die hier im Blog bereits vorgestellte Zubereitung al forno (im Ofen), doch nicht immer wird wie in unserem Rezept mit Zitrusfrüchten aromatisiert, sondern oft mit Rosmarin (und Salbei), manchmal wird das Zicklein auch mit LampascioniVgl. ausführliche, bebilderte Lebenmittelinfo-Seite Lampascioni (dt.: Traubenhyazinthen) serviert, was besonders in der Basilikata beliebt ist. Statt im Ofen gegart zu werden, kann dies auch am Spieß erfolgen, wobei aufgrund der Schwierigkeit, einen Spießbraten zu aromatisieren, das Fleisch oft vorher 24 Stunden mariniert wird (capretto marinato allo spiedo). Aus den Abruzzen, genauer gesagt aus dem dortigen Städtchen Nereto, stammt das auch überregional bekanntere Gericht Capra alla nerese, bei dem in einem Terracottagefäß Ziegenfleisch mit Tomaten Zwiebeln, Paprika und Peperoncino geschmort wird. Mit ähnlichen Zutaten bereitet man in Civita, einer kalabrischen Gemeinde mit arabischer Tradition, capretto alla civitese in der Pfanne zu. Im Kochtopf wird hingegen capretto in umido zubereitet, denn hier wird das Fleisch nach dem Anbraten mit Brühe und Wein gekocht. Ansonsten benutzt man zur Zubereitung eines Zicklein oft Rezepte, die bei Lamm zur Anwendung gelangen.

 

milchzicklein

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Zicklein ist selten erhältlich, und wenn, dann meist nur vor Ostern. Insofern lohnt es sich, das Fleisch einzufrieren, wobei es sich etwa ein halbes Jahr tiefgekühlt hält. Frisches Fleisch sollte man innerhalb von 3 bis 4 Tagen verarbeiten.

 

 

Alle auf Authentisch-Italienisch-Kochen.de veröffentlichten Rezepte, die Zicklein enthalten, findest du unter der Zutat Zicklein.

 

 

Fußnoten    (↵ zurück zum Text; ggf. geschlossenen Text zunächst öffnen)

  1. Vgl. https://www.ziegenlexikon.de/ch02s04.html (Letzter Zugriff: 27.03.18)
  2. Vgl. http://www.chefmagazine.it/il-capretto-da-latte/. Die in der Literatur findbaren Daten weichen ein wenig voneinander ab: Die Associazione Italian Food Bloggers nennt 2 Monate und 5 kg. (Letzter Zugriff: 27.03.18)
  3. Vgl. http://www.iodonna.it/lifestyle/animali/2017/04/11/pasqua-stop-al-consumo-di-carne-di-agnello-e-capretto/; ähnlich in Deutschland Peta (Letzter Zugriff: 27.03.18)
  4. Vgl. ebd. (Letzter Zugriff: 27.03.18)
  5. Vgl. https://it.wikipedia.org/wiki/Carne_di_capra (Letzter Zugriff: 27.03.18)
  6. Karl Heinz-Mohr: Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst, Düsseldorf 1976, S. 314
  7. Vgl. Hannelore Sachs, Ernst Badstübner, Helga Neumann: Erklärendes Wörterbuch zur christlichen Kunst, Leipzig 1973, S. 337

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 5. Januar 2024
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